Women's Health in der Neuroimmunologie

The Power of Data: Wie Schwangere und Stillende von RWD profitieren

Welche bedeutenden Neuerungen und Highlights es in den letzten Jahren im Zusammenhang mit Multipler Sklerose (MS) und Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) und Schwangerschaft und Stillzeit gab, haben Prof. Dr. Kerstin Hellwig und Prof. Dr. Brigitte Wildemann in einer Diskussionsrunde ausführlicher besprochen. Im Gespräch betonen sie die entscheidende Rolle von Real-World-Daten (RWD) und deren Auswirkungen auf die klinische Praxis.

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Neue Erkenntnisse im Bereich Schwangerschaft und Stillen bei MS
Wie profitieren stillende Frauen von Zulassungserweiterungen aufgrund neuer Daten?

Als Beispiel kann man hier die erfolgte Zulassungserweiterung von Glatirameracetat nennen, das nun auch während der Stillperiode eingesetzt werden kann.1 Eine solche Zulassungserweiterung erfolgt weder schnell noch zufällig, so Prof. Hellwig. Vielmehr erfordert sie eine umfangreiche Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern, Zulassungsbehörden und der Pharmaindustrie sowie die Nutzung von Real-World-Daten aus Registern. Hochwertige Real‑World‑Daten können hierbei den Prozess beschleunigen.

 

Im folgenden Textabschnitt geht es um den Off-Label-Use von MS- und NMOSD-Therapien, da die überwiegende Mehrzahl verlaufsmodifizierender Therapien (disease modifying therapies, DMT) derzeit nicht für die Verwendung während der Schwangerschaft bzw. Stillzeit zugelassen ist.1 Die aufgeführten Beispiele spiegeln die reale Therapie und Meinung der hier genannten Ärztinnen wider, basierend auf ihrer klinischen Erfahrung. Dies stellt keine Therapieempfehlung oder Diagnosehilfe seitens der Roche Pharma AG dar. Therapie und Therapieentscheidung liegen stets in der Verantwortung der behandelnden Ärzt:innen.

Datenbasierte Entscheidungen bei aktiver MS und Rebound-Risiko bei Frauen mit Kinderwunsch

Bei aktiver MS ist vor, während und nach der Schwangerschaft zusätzlich das Rebound-Risikoa zu beachten. Die Erkenntnisse aktueller Veröffentlichungen können laut Prof. Hellwig Ärzt:innen und Patientinnen dabei helfen, informierte Entscheidungen zur Behandlung zu treffen. Gleichzeitig stehen immer mehr Daten zu neueren MS-Therapien zur Verfügung, so dass die Risikoeinschätzung leichter fällt, vor allem für Anti‑CD20‑Antikörper, wie z. B. Ocrelizumab* (vgl. Folgeabschnitt).

Mehr Informationen zum Thema Kinderwunsch bei MS (inklusive Fallbeispiel)

Paradigmenwechsel der MS-Leitlinie durch Real‑World‑Daten

Seit der Überarbeitung der S2k-Leitlinie1 der DGN zur Diagnose und Therapie von MS als Living Guideline werden monoklonale Antikörper-Therapien nicht mehr als Kontraindikationen für das Stillen eingestuft (vgl. Empfehlung C27).1 Daten zeigen, dass verschiedene Therapieoptionen auch während der Stillzeit sicher sind. Beispielsweise haben Fallserien bei stillenden Müttern unter Behandlung von Ocrelizumab* oder Natalizumab* bislang keine negativen Effekte auf die Gesundheit des Kindes feststellen können.1 Auch wenn das in diesem Fall einen Off-Label-Use darstellt, kann man unter Beachtung des individuellen Nutzen/Risikos erwägen, unter dieser Therapie zu stillen.

Daten als Schlüssel – auch bei Generika und Biosimilars

 

Biosimilarsb und Generikac kommen nach Ablauf des Patentschutzes auf den Markt. 

 

Auch wenn in der Praxis laut Prof. Hellwig kaum Verunsicherung unter den Patient:innen bezüglich Biosimilars beobachtet wurde, wird auch hier die Notwendigkeit umfassender Daten betont, um die Wirksamkeit und Sicherheit der Biosimilars zu bewerten. Prof. Hellwig erwartet keinen Unterschied in der Wirksamkeit, begrüßt jedoch zusätzliche Datenerhebungen. „Wir benötigen unfassbar große Datenmengen, um auch seltene Outcomes zu erwischen. Im Prinzip erwarte ich keinen Unterschied. Ich würde mich aber freuen, und hoffe es wird so passieren, wenn Biosimilar- bzw. Generika-Firmen an solchen Datenerfassungen beteiligt wären.”

Einblicke zu aktuellen Themen im Bereich Schwangerschaft und Stillen bei NMOSD

Für seltene Erkrankungen, wie NMOSD, sind große Datenmengen noch nicht vorhanden. Aktuell wird empfohlen, Therapien für Frauen mit Kinderwunsch vor der Schwangerschaft abzusetzen. Für Patientinnen mit einer aktiven Erkrankung, die schwanger werden wollen, ist das Absetzen einer Immuntherapie jedoch ein Problem. Im Fall einer beabsichtigten Schwangerschaft kann erwogen werden, ob z.B. eine Therapie mit monoklonalen Antikörpern fortgesetzt werden kann, so Prof. Wildemann. Alternativ kann im Einzelfall entschieden werden, ob die letzte Applikation zeitlich adaptiert vor einer Schwangerschaft verabreicht werden soll.

 

 

Auch bei NMOSD gibt es Fallbeispiele, bei denen B-Zell-depletierende, monoklonale Antikörper* eingesetzt werden. Mit der Therapie wird vor der Schwangerschaft begonnen und je nach Verlauf, wird diese erst 2 bis 4 Monate vor Eintritt der Schwangerschaft abgesetzt. Für die aktuell in Deutschland zugelassenen NMOSD-Therapien stehen bisher nur wenige Daten zur Verfügung, so dass im Einzelfall bei individueller Risikoabwägung geprüft werden muss, ob eine Weiterbehandlung während der Schwangerschaft möglich ist. Auch hier können Real-World-Daten künftige Therapieentscheidungen unterstützen.

Weitere Datenerhebungen mithilfe von Kinderwunschregistern sind entscheidend.

 

Prof. Dr. Hellwig und Prof. Dr. Wildemann

Um bestehende Datenlücken zu füllen, wird das DMSKW‑Kinderwunschregister unter Leitung von Prof. Hellwig fortgeführt. Erkrankungen und Therapien, für die bisher nur wenige Daten verfügbar sind (wie z.B. bei NMOSD und Satralizumab), werden zukünftig auch in das Schwangerschaftsregister inkludiert, um weitere Erkenntnisse zu diesen Therapien während einer Schwangerschaft zu sammeln und mögliche Auswirkungen besser zu verstehen.

Weitere Details über das Kinderwunschregister des DMSKW erhalten Sie auf der folgenden Webseite: https://www.ms-und-kinderwunsch.de/ oder unter folgender e-Mail: Kerstin.Hellwig@ruhr-uni-bochum.de

Fazit

Die Fortschritte in der Therapie von MS und NMOSD während Schwangerschaft und Stillzeit sind eng mit der Verfügbarkeit und Analyse hochwertiger Daten verbunden. Diese Erkenntnisse tragen nicht nur zur aktuellen Praxis bei, sondern weisen auch auf die Notwendigkeit weiterer Datenerhebungen hin, um eine Verbesserung der Behandlungsoptionen von werdenden und stillenden Müttern sicherzustellen.

„Unter dem Sammelbegriff der „Real-World-Data“ werden ganz allgemein Daten zum Gesundheitszustand zusammengefasst, die in der medizinischen Versorgung erhoben werden. Das können beispielsweise Informationen aus Krankheitsregistern oder Patientenakten sein. Aber auch Daten, die heute über Gesundheits-Apps oder die sogenannten Wearables erfasst werden, fallen letztlich in diesen Bereich. Gemeinsam ist diesen Daten, dass sie die tatsächliche Realität im Behandlungsalltag abbilden – und damit unterscheiden sie sich deutlich von jenen Informationen, die im Rahmen klinischer Studien unter sehr kontrollierten Bedingungen erhoben werden.”

 

Dr. Susanne Schach (Bereich Real World Data, Roche Pharma AG)

* Off-Label-Use

a Wiederaufflammen von MS-Krankheitsaktivität, die über die Aktivität vor Therapiebeginn hinausgehen kann.

b Nachahmerprodukte biologischer Arzneimittel, die nach Ablauf des Patentschutzes auf den Markt kommen. Sie sind das Äquivalent zu den Generika bei chemischen Arzneimitteln, unterliegen aber strengeren Zulassungsanforderungen, da sie nur wirkstoffähnlich, aber nicht identisch zum Originalpräparat sind.

c Arzneimittel mit dem identischen Wirkstoff eines ehemals patentgeschütztes Präparats.

1. Hemmer B. et al., Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen, S2k-Leitlinie, 2023, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie (Stand 30.11.2022). Online: https://dgn.org/leitlinien (abgerufen am 12.02.2024)

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