Women's Health in der

Neuroimmunologie

Hormonhaushalt und Multiple Sklerose

Für neuroimmunologische Erkrankungen wie die Multiple Sklerose (MS) sind geschlechtsspezifische Unterschiede von großer Bedeutung. Beim B-Zell-Forum im Juni 2023 gab Dr. Daniela Rau, Nervenfachärztliche Gemeinschaftspraxis Ulm, spannende Einblicke in die Rolle der Hormone im Verlauf der MS. „Diese Themen stehen in der klinischen Praxis nicht genug im Fokus“, so Dr. Rau. „Aber für unsere Patient:innen sind sie sehr wichtig, denn das Geschlecht beeinflusst mehr als nur die äußeren Merkmale.“

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Lesen Sie im Beitrag mehr über die Rolle des Hormonhaushalts bei neurologischen Erkrankungen wie der MS sowie dessen Bedeutung für die Symptome menopausaler MS-Patientinnen.

Im Video am Seitenende können Sie sich den gesamten Vortrag von Dr. Rau ansehen oder gezielt zu einzelnen Kapiteln navigieren.

„Warum sind die Hormone in Bezug auf neurologische Erkrankungen überhaupt so wichtig?“, fragte Dr. Rau. „Weil Sexualhormone die Funktion der Immunzellen bestimmen können.“ Das betrifft sowohl das angeborene als auch das erworbene Immunsystem. Die Steuerung erfolgt dabei direkt über die Bindung der Hormone an die Steroidrezeptoren.1 So bedingen etwa höhere Östrogenspiegel eine Verschiebung des Verhältnisses der T‑Helferzellen (TH) von TH1 zu TH2. Sinkende Östrogenspiegel können dagegen zu einer beschleunigten Neurodegeneration beitragen.1 Diese Zusammenhänge sind wichtig, denn Autoimmunerkrankungen können sowohl durch TH1 als auch TH2 vermittelt sein, was die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Autoimmunerkrankungen erklärt.1 „Sexualhormone beeinflussen die Häufigkeit und die Schwere der Ausprägung von Autoimmunerkrankungen. Unter anderem tritt auch die MS häufiger beim weiblichen Geschlecht auf“, erklärte Dr. Rau (Abb. 1).2,3

Abbildung 1: Auswirkungen des „Geschlechts“ auf Häufigkeit von Autoimmunerkrankungen.3

Insgesamt zeigt das weibliche Immunsystem eine höhere Reaktivität als das männliche und ist damit potenziell „potenter“ gegenüber Infektionen etc. Altersabhängig verändern sich die Lymphozyten‑Subtypen: Bei postmenopausalen Frauen sinken die Östrogen- und Progesteron-Spiegel und es sind weniger B‑Lymphozyten und T‑Helferzellen vorhanden als bei Frauen vor der Menopause. Das Progesteron hat per se einen antientzündlichen Effekt, während das Stillhormon Prolaktin eine entzündungsfördernde Komponente besitzt, wodurch die TH1‑Antwort verstärkt wird.2,3 In der Schwangerschaft wiederum werden TH1‑gestützte Autoimmunerkrankungen wie die MS stabilisiert und die Bildung regulatorischer T‑Zellen induziert. Im Gegensatz dazu verschlechtern sich TH2‑gestützte Autoimmunerkrankungen (z.B. Systemischer Lupus Erythematodes) in der Schwangerschaft und eine natürliche B‑Zell‑Depletion setzt ein. Außerdem kommt es zu einer Umverteilung von B‑Zell‑Populationen aufgrund der natürlichen Immuntoleranz während der Schwangerschaft.4,5 „Dies ist sinnvoll, weil das ungeborene Kind nicht vom Körper abgestoßen werden soll“, erläuterte Dr. Rau.

Gerade in Bezug auf die Menopause gebe es bei den MS-Patientinnen oft viele Fragen und auch Ängste, so Dr. Rau: „Was passiert mit der MS? Wie entwickeln sich die bereits bestehenden Symptome? Welche Folgen können hinsichtlich der psychischen und körperlichen Gesundheit auftreten?“


Die Menopause bedeutet zunächst veränderte Sexualhormonspiegel, also eine reproduktive Seneszenz – d.h. den Verlust der Gebärfähigkeit. Zusätzlich tritt eine Immunoseneszenz auf, die mit einer chronischen schwachen Entzündung (chronisches Inflammaging) einhergeht.1 Die proinflammatorischen Zytokine nehmen zu und die Lymphozytenzahlen ab. Es kommt zu Veränderungen der kortikalen Struktur im Gehirn. Bei Frauen mit MS beginnt die Menopause nicht verzögert, sondern ebenso wie bei gesunden Frauen typischerweise mit 51 Jahren.6

 

Wichtige Symptome der Menopause sind zum Beispiel

  • vasomotorische Störungen wie Hitzewallungen,
  • psychische Veränderungen und damit ein erhöhtes Risiko für Depression,
  • kognitive Störungen (z. B. hinsichtlich Gedächtnisfunktion, Aufmerksamkeitsspanne, Informationsverarbeitung und -geschwindigkeit),
  • Schlafstörungen,
  • urogenitale Störungen wie Blasenfunktionsstörungen oder sexuelle Dysfunktionen,
  • erhöhtes Osteoporoserisiko.1

 

„Auch wenn viele dieser Symptome mit denen der MS überlappen, sollten sie nicht miteinander gleichgesetzt werden. Wir müssen diese Symptome klar voneinander differenzieren und bei unseren Patientinnen danach fragen“, forderte Dr. Rau. „In der Praxis werden manchmal MS-Schübe mit Uthoff-Phänomenen und Menopause-Symptomen vermischt, da der Ursprung der jeweiligen Symptome unklar ist.“


Wichtig ist auch zu berücksichtigen, dass sich im Rahmen des Klimakteriums sowohl die MS-Symptome als auch die MS-spezifische Behinderung verschlechtern können.1,6 Dr. Rau verwies in diesem Zusammenhang auf die Option zur Hormonersatztherapie: „Patientinnen mit Hormonersatztherapie berichten über eine Verbesserung der MS-bedingten Beschwerden aufgrund der mit denen der Menopause überlappenden Symptome. Hierzu laufen zurzeit klinische Studien und es sind weitere geplant.“

Ratschläge der Expertin für Umgang mit Patientinnen

Dr. Rau empfiehlt, MS-Patientinnen in der Menopause unbedingt konkret nach ihren Symptomen zu fragen. Außerdem: „Raten Sie ihren Patientinnen zu regelmäßiger körperlicher Bewegung, Physiotherapie, Beckenbodentraining, moderatem Ausdauersport und Entspannungsübungen wie Yoga“, so die Neurologin. Zusätzlich solle man die Patientinnen zu regelmäßigen Gesundheitsschecks – insbesondere zu Knochendichtemessungen – motivieren und Komorbiditäten wie Kreislauferkrankungen beachten. „Erwägen Sie eine Hormonersatztherapie in Abhängigkeit des Tumorrisikos und der Beschwerden und behandeln Sie die Symptome der MS“, rät Dr. Rau.

 

Video-Vortrag von Dr. Rau

Dr. Rau zu Women´s Health in der Neuroimmunologie. [24:17 min]

Über das Navigationsmenü im Video gelangen Sie zum Themenüberblick. Alternativ finden Sie nachfolgend das Inhaltsverzeichnis zum Video.

Inhaltsverzeichnis
  • Begrüßung und Vorstellung
  • Überblick: Wie sich Frauen und Männer unterscheiden
  • Bedeutung des Hormonhaushalts bei Mann und Frau für Autoimmunerkrankungen und MS
  • Die MS-Erkrankung: Unterschiede bei Mann und Frau
  • Kinderwunsch und Auswirkungen der Schwangerschaft auf die MS
  • MS und Menopause: Symptome unterscheiden
  • Ist die Hormonersatztherapie eine Option?
  • Fazit MS und Menopause: Bedeutung und Empfehlungen

1. Elias-Hamp B. Bedeutung des Klimakteriums für die Multiple Sklerose. 2022. Online: cme.medlearning.de (abgerufen am 15.08.2023)

2. Ngo ST, Steyn FJ und McCombe PA. Front Neuroendocrinol 2014; 35(3):347-369

3. Sohn E. Nature 2021; 595: S51-S53

4. Altintas A et al., Ther Adv Neurol Disord 2020; 13:1756286420949808

5. Landi D et al., ECTRIMS 2022; P483

6. Bove R et al., Front Neurol 2021; 12:554375

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