Women's Health in der Neuroimmunologie

Menopause mit MS

Wesentlich mehr Frauen sind von MS betroffen als Männer. Doch in der schwierigen Lebensphase der Wechseljahre fühlen sich Betroffene oft alleingelassen. Neue Versorgungs- und Forschungsansätze sind nötig, um diese wachsende Patientenkohorte besser zu unterstützen. Aus Patientinnen- und Behandlersicht berichten Birgit Bauer, Social Media & Digital Health sowie Patient Expert, und Dr. Daniela Rau, Nervenfachärztliche Gemeinschaftspraxis Ulm.

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In Deutschland erkranken Frauen rund drei Mal so häufig an MS wie Männer.1 Unter anderem dank verlaufsmodifizierender Therapien sind Lebenserwartung und Durchschnittsalter dieser Patientinnen in den letzten Jahren stetig gestiegen.2 Nicht nur aus diesem Grund wächst die Zahl an Frauen mit MS, die in die Wechseljahre kommen. Auch die Inzidenz der spät einsetzenden MS ist bei Frauen gestiegen, wodurch diese spezifische Patientenkohorte sich nochmals vergrößert.3

Herausforderung MS und Menopause

MS ist eine chronische Krankheit, die sich stark auf das Leben der Betroffenen auswirkt: Nach der Diagnose müssen sich Frauen Gedanken um ihre Familienplanung, Partnerschaft und berufliche Zukunft machen.4-6 Das Krankheitsmanagement muss gelernt werden, denn Beschwerden wie Schmerzen oder Fatigue können den Alltag erheblich einschränken.7

Kommen Frauen mit MS in die Wechseljahre, verschärfen sich diese bestehenden Belastungen oft nochmals.8 Erschwerend für die Frauen und ihre Behandler:innen ist, dass sich die Symptome bzw. Komorbiditäten von MS und der Menopause oft überschneiden.8,9

Im Video-Vortrag spricht Dr. Daniela Rau über häufige Beschwerden und hormonelle Veränderungen von Frauen mit MS während der Wechseljahre.

Psychische Risikofaktoren in der Menopause

Neben den körperlichen Auswirkungen ihrer MS können Frauen in den Wechseljahren auch mit den psychischen Folgen der Krankheit zu kämpfen haben. Da viele MS-Patient:innen nach dem 45. Lebensjahr einen progressiveren Krankheitsverlauf entwickeln, müssen manche Frauen gleichzeitig die Menopause und die sich verschlimmernde MS bewältigen.10 Zum ohnehin erhöhten Depressionsrisiko bei Menschen mit MS kommen bei Frauen sinkende Hormonspiegel hinzu, die dieses Risiko nochmals erhöhen können.11-13 Außerdem können Faktoren wie mangelndes Selbstvertrauen bzw. Angst vor Ablehnung die Paarbeziehung von Frauen mit MS in den Wechseljahren belasten.14

Drei Fragen an Birgit Bauer

„Grundsätzlich gibt es einen großen Informationsmangel für MS-betroffene Frauen ab 40. Diese Frauen beschäftigen andere Themen als junge Frauen, sie haben andere Bedürfnisse und sie sind auch in einer anderen Lebenssituation. Sie haben z. B. erwachsene Kinder, arbeiten halbtags und sind vielleicht schon in der Peri- oder Menopause. Auf einmal wird man mit Hitzewallungen und Hormonschüben konfrontiert, die man zunächst vielleicht auch überhaupt nicht einordnen kann. Obwohl dieses Thema mit Blick darauf, dass rund 70 % der MS-Betroffenen weiblich sind, so relevant ist, beschäftigt sich die Forschung erst seit kurzem damit, welchen Einfluss die Hormonumstellung auf die MS hat. Und auch beim Arzt wird das Zusammenspiel aus MS und Menopause aus meiner Erfahrung nicht aktiv angesprochen. Die Vernachlässigung des Themas zeigt sich auch mit Blick auf die Hormonersatztherapie. Diese war wegen des Krebsrisikos bisher eher nicht so beliebt, aber mittlerweile wissen wir aus der Forschung mit gesunden Frauen, dass das Risiko beherrscht werden kann, solange regelmäßige Check-Ups beim Arzt erfolgen. Man spricht zwar davon, dass es auch Frauen mit MS empfohlen werden sollte, aber das wird in der Praxis nichts, weil wir zu wenig darüber wissen. Man fragt sich unweigerlich, warum diese Themen bis jetzt so vernachlässigt wurden.”

„Im Vergleich zu damals, als ich im Jahr 2005 die Diagnose bekam, gibt es heute viele digitale Angebote und die sozialen Medien. Da hat sich sehr viel entwickelt und damit auch in den Communities. Als ich damals im Jahr 2007 anfing zu bloggen, war ich noch eine der ersten – mittlerweile ist das Angebot riesig. Ich denke in den sozialen Medien steckt viel Potenzial, aber es ist auch Fluch und Segen zugleich. Einerseits haben Menschen mit Erkrankungen über die sozialen Medien die Möglichkeit sich gegenseitig zu informieren und zu unterstützen. Andrerseits werden häufig Informationen geteilt, deren Ursprung nicht nachvollziehbar ist. Nur selten werden Quellen verwendet, wodurch man in vielen Fällen auch nichts nachrecherchieren kann. Wir haben gelernt Social Media zu nutzen, aber wir haben nicht gelernt, es richtig zu nutzen.”

„Was wir wirklich brauchen, ist ein transparentes Gesundheitssystem, in dem man Wünsche äußern und auch auf individuelle Bedürfnisse eingehen kann. Ein System, in dem man auch sagen kann: ‚Hey, ich habe hier krankheitsbedingte Mehrkosten' – und dann auch wirklich Unterstützung bekommt. Wenn man heute Fragen hat und zur Krankenkasse geht, bekommt man fünf verschiedene Antworten. Und das ist der beste Beweis für die Intransparenz, die existiert. Ich möchte nicht ständig mit meinem Arzt diskutieren müssen, ob ich mit meinem ICD-Code Anspruch auf eine Langzeitbehandlung habe. Was wir brauchen sind mehr niederschwellige Informationsangebote sowie einfache und effektive Programme, die dafür sorgen, dass man als kranker Mensch nicht zurückfällt. Aktuell ist es einfach zu viel Verwaltungskram, obwohl ja eigentlich der Mensch im Vordergrund stehen sollte.”

Derzeitige Versorgung hat Mängel

Angesichts dieser Rahmenbedingungen wird deutlich, dass es sich bei Frauen mit MS in der Menopause um eine besonders vulnerable Patientenkohorte handelt. Doch in Deutschland fehlt es diesen Frauen bisher an Anlaufstellen und evidenzbasierten Informationen. Es gibt nur wenig klinische Studien zum Thema, und in den Arztpraxen stehen Frauen mit ihren Problemen vielfach allein da. Denn nicht alle Gynäkolog:innen kennen sich mit MS aus, und nicht alle Neurolog:innen mit dem Thema Menopause – Dr. Rau rät hier zu einer klaren Symptomdifferenzierung und gibt Tipps zum Umgang mit MS-Patient:innen.
Neben fehlendem Support für körperliche Symptome wird im Gesundheitssystem bisher auch nicht ausreichend auf die psychischen Belastungen dieser Patientinnen eingegangen, die weitreichende Folgen für ihr Gesamtbefinden haben können.

Versorgungssituation muss verbessert werden

Frauen mit MS in der Menopause sind eine wachsende Kohorte, deren Bedürfnisse bis dato nicht ausreichend vom Gesundheitssystem adressiert werden. Frauen, die sich in diese neue Phase ihres Lebens begeben müssen, benötigen mehr Informationen und konkrete Hilfsangebote, z. B. in Form von Spezialsprechstunden und psychologischen Interventionen. Sinnvoll wären auch gezielte Vorsorgeuntersuchungen auf Komorbiditäten, die im Zusammenhang mit Menopause und MS relevant sind (z. B. Blutdruck, Knochendichte etc.). Es bedarf auch mehr qualitativ hochwertiger klinischer Forschung, insbesondere bei Frauen 50+ und zur Wirkung der Hormonbehandlung bei Frauen mit MS. Weiterhin sollten Maßnahmen zur Erhöhung der Awareness für das Thema ergriffen werden, auch in Richtung Gesundheitspolitik, um eine nachhaltige Verbesserung der Situation für Frauen mit MS herbeizuführen.

1. Kip M et al. (Hrsg.), Weißbuch Multiple Sklerose 2016; Springer Berlin, Heidelberg

2. Sanai SA et al., Mult Scler 2016; 22: 717–25

3. Koch-Henriksen N et al., Neurology 2018; 90: e1954–63

4. Harbo HF et al., Ther Adv Neurol Disord 2013; 6 (4): 237-48

5. Neate SL et al., Health Soc Care Community 2019; 27(6): 1515-24

6. Vijayasingham L, Mairami FF. Degener Neurol Neuromuscul Dis 2018; 8: 15-24

7. Gajofatto A, Benedetti MD. World J Clin Cases 2015; 3 (7): 545-55

8. Bove R et al., Front Neurol 2021; 12: 554375

9. Midaglia L et al., Mult Scler 2022; 28 (2): 173-182

10. Tutuncu M et al., Mult Scler 2013; 19: 188-98

11. Boeschoten RE et al., J Neurol Sci 2017; 372: 331–41

12. Schmidt PJ. Ann N Y Acad Sci 2005; 1052: 27–40

13. Juutinen L et al., Mult Scler Relat Disord 2022; 67: 104098

14. Cordeau D, Courtois F. Ann Phys Rehabil Med 2014; 57 (5): 337-47

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