Zukunft der Onkologie

Müssen wir der Onkologie einen
Korb geben?

Keine Vergleichsarme, keine Verblindung, kein großes Patient:innenkollektiv und obendrein sammeln sich Patient:innen mit unterschiedlichsten soliden Tumoren in einem einzigen Verum-Arm. Was mit Blick auf den Goldstandard der klinischen Forschung, der großen randomisierten, kontrollierten Studie, jedweder wissenschaftlicher Rationale zu entbehren scheint, ist bereits unverzichtbares Werkzeug in der Entwicklung neuer Onkologika.

 

Denn zukünftig werden immer mehr Patient:innen neuartige Arzneimittel in Körben oder unter Regenschirmen erhalten - sprich in sogenannten Basket-, Umbrella- oder Plattformstudien und damit im Rahmen neuer, innovativer Studienkonzepte. Doch warum braucht es diese Studiendesigns überhaupt? Und lässt sich damit Evidenz generieren, die für eine Zulassung ausreicht, aber auch informierte Therapieentscheidungen ermöglicht?

100 Patient:innen machen noch keine RCT

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Große randomisierte kontrollierte Studien (RCT) wird es in der Onkologie auch weiterhin geben - auch von Roche. Der Goldstandard der klinischen Forschung ist also keineswegs vom Aussterben bedroht. Neue Studiendesigns haben sich aber dennoch eine ökologische Nische erschlossen. Insbesondere dort, wo es um kleine Patient:innengruppen mit begrenzten oder schlichtweg nicht vorhandenen Therapieoptionen geht. Beispiele dafür gibt es mittlerweile zuhauf: Patient:innen mit EGFR- oder KRAS-Mutationen oder etwa mit NTRK- oder RET-Genfusionen sprechen weder auf gängige Chemotherapieregime noch auf Krebsimmuntherapien besonders gut an. Ohne zielgerichtete Therapie ist ihre Prognose oft schlecht.

 

Während sich RCTs für Betroffene mit EGFR- und KRAS-Mutationen - immerhin die häufigsten molekularen Treiber bei vielen Tumoren - noch in akzeptabler Zeit rekrutieren lassen, sieht es bei Genfusionen wie RET oder NTRK anders aus. Bei NTRK liegt die Prävalenz über alle soliden Tumoren hinweg bei knapp einem Prozent, bei RET sind es nur wenige mehr. 1,2 Man muss also weder Medizinethiker noch Statistiker sein, um zu erkennen: Eine RCT, die hunderte Patient:innen mit einer seltenen Genfusion wie NTRK einschließen soll, noch dazu auf eine einzige Tumorentität beschränkt, wird nicht in akzeptabler Zeit rekrutieren und ist mangels zumindest einigermaßen wirksamer Vergleichstherapien darüber hinaus unethisch. Wer sich nun fragt, ob es in der klinischen Praxis überhaupt Sinn macht, nach diesen Einhörnern der Onkologie zu suchen, sollte sich einerseits die dramatisch verbesserte Prognose unter zielgerichteter Therapie vor Augen führten und andererseits klar machen, dass es in Summe um eine signifikante Patientengruppe geht.

 

Um für diese Patient:innen trotzdem wirksame Therapien entwickeln zu können, braucht es also neue Studienkonzepte, die auch mit relativ wenigen Proband:innen valide Aussagen zur Wirksamkeit und Verträglichkeit neuer Arzneimittel erlauben.

Regenschirm, Körbchen oder Plattform?

Ob wir der Onkologie nun einen Korb oder einen Regenschirm verpassen oder im Grunde beides brauchen, hängt von der Forschungsfrage ab:

Die Basket-Studie

Bleiben wir bei Patient:innen mit NTRK- oder RET-Genfusion. Beide Fusionen sind in ganz unterschiedlichen soliden Tumoren relevant und ätiologisch für deren Entstehung verantwortlich - und damit vielversprechende Targets für eine personalisierte Therapie. Um herauszufinden, wie gut ein einziges Medikament bei Patient:innen mit ein und derselben Genfusion, aber ganz unterschiedlichen Tumoren wirkt, werden sie in einem einzigen Körbchen gesammelt - der Basketstudie 3,4,5 Beispiele dafür sind u.a. die   STARTRK-Studien oder die   ARROW-Studie.

Die Umbrella-Studie

Umbrella-Studien schließen dagegen Patient:innen mit einer einzigen Krebsart in verschiedene z. B. biomarkerstratifizierte Substudien ein. So lassen sich mehrere zielgerichtete Therapien gleichzeitig untersuchen. Die Tumorentität, die bei allen Patient:innen gleich ist, spannt damit den Schirm auf, unter dem unterschiedliche Interventionen erforscht werden.3,4,5

Die Plattform-Studie

Mehrere zielgerichtete Therapien bei unterschiedlichen Entitäten, dazu noch tumoragnostische Wirkansätze - das Konzept der Plattform-Studie schafft diesen Spagat und ist damit so etwas wie der Wolpertinger der klinischen Forschung. Vorab festgelegte Entscheidungsalgorithmen erlauben es in diesem komplexen Studiendesign ganz unterschiedliche Therapieansätze bei diversen Patient:innenkollektiven und Tumorarten zu untersuchen, nicht erfolgreiche Arme zu schließen und neue zu eröffnen.4

So funktioniert’s: Die TAPISTRY-Studie

Die Plattform-Studie TAPISTRY* untersucht die klinische Wirksamkeit und Sicherheit verschiedener zielgerichteter Therapien oder Immuntherapien bei ganz unterschiedlichen soliden Tumoren, die bestimmte molekulargenetische Veränderungen oder eine hohe Tumormutationslast (TMB) aufweisen.6,7

* TAPISTRY steht für "Tumor-Agnostic Precision Immuno-Oncology and Somatic Targeting Rational for You".

Infobox

●     Inoperable, lokal fortgeschrittene oder metastasierte solide Tumoren

●     Unbehandelter Patient wg. nicht ausreichend geeigneter oder nicht verfügbarer Therapieoptionen oder Krankheitsprogression während vorheriger Behandlung

●     Per validierter NGS-Analyse nachgewiesene hohe Tumormutationslast (TMB) oder onkogene Veränderungen

 

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an den Studienkontakt bei Roche

 

Dr. Birgit Schif  birgit.schif@roche.com)

Per Next Generation Sequencing werden die Teilnehmer entsprechenden Kohorte zugewiesen und mit einem Medikament oder einem Medikamentenregime behandelt, welches auf ihr individuelles Tumorprofil zugeschnitten ist. Die Behandlung wird so lange fortgesetzt bis der klinische Nutzen nachlässt, inakzeptable Toxizität auftritt, die Behandlung abgebrochen wird oder der Patient verstirbt.

 

Trotz neuer Studienkonzepte wie bei der TAPISTRY, bleibt die Durchführung und Rekrutierung in einer immer stärker personalisierten Therapielandschaft eine enorme Herausforderung. Diese globale, multizentrische, offene Phase-II-Studie startete mit dem Ziel, 770 Patienten zu rekrutieren. Dazu müssen weltweit vermutlich mehr als 40.000 Patienten gescreent werden, das entspricht der Bevölkerung einer mittelgroßen deutschen Stadt wie Cuxhaven oder Pinneberg. Das zeigt, wie aufwändig sich die Suche nach Patienten mit seltenen molekulargenetischen Veränderungen im Rahmen von Studien gestalten kann.

Personalisierte Therapien - einfach unvergleichlich?

Bleibt die Frage nach Kontrollen, Vergleichsarmen oder irgendeiner anderen Möglichkeit, die Ergebnisse solcher Studien ins Verhältnis zu setzen. Bei Patientengruppen, die so klein sind, dass sich Vergleichsarme kaum bilden lassen und für die es zu allem Übel meist auch keine zumindest einigermaßen zufriedenstellenden Standardtherapien gibt, bleibt oftmals nur der Rückgriff auf bestehende Daten aus dem Behandlungsalltag, sog. Real-World-Data (RWD).

 

Davon gibt es eine Menge, denn nur etwa vier Prozent der Krebspatient:innen werden im Rahmen klinischer Studien behandelt. Es müsste also doch ein Leichtes sein, unsere Wissenslücken mit Hilfe der übrigen 96 Prozent zu schließen?8 Warum das einfacher gesagt ist als getan, erläuterte vor einiger Zeit Dr. Benedikt Westphalen, München, in einem Interview mit Monitor Versorgungsforschung:

 

“In diesem Zusammenhang muss man sich allerdings vor Augen führen, dass die Aufgabe des klinisch tätigen Arztes die Behandlung von Patienten und eben nicht die strukturierte Erfassung von Daten auf Studienniveau ist. Deshalb ist es nicht möglich, aus den Daten eines normalen Ambulanztages, einfach eine RWD-Analyse zu machen. Die Vorstellung, es sei doch alles da, man müsse es nur nutzen, ist schlichtweg falsch. Wenn wir RWD fordern, müssen wir uns Gedanken machen, wer sie erhebt und wie sie auf ein nutzbares Level kommen.”

 

Den (digitalen) Aktenschrank in der Klinik öffnen, die Daten herausnehmen, einscannen, in einen Topf werfen und fertig? So einfach ist das Ganze also nicht. Fehlende Digitalisierung, Standardisierung und eine starke Fragmentierung machen es heute weiterhin schwierig, Versorgungsdaten in ausreichender Qualität zu poolen und z.B. für synthetische Kontrollarme heranzuziehen. Bereits heute können RWD aber wichtige Erkenntnisse liefern, um Therapieeffekte abschätzen und Evidenzlücken schließen zu können.6 Schaffen wir es, diese Hürden weiter abzubauen, könnten qualitativ hochwertige RWD gemeinsam mit neuen Studienkonzepten den Entwicklungsprozess neuer, zunehmend personalisierter Therapien deutlich beschleunigen.

 

1. Astsaturov IA et al., J Clin Oncol 2016; 34 (Suppl 15): 11504.

2. Drilon A et al., Nat Rev Clin Oncol. 2018; 15(3): 151–167.

3. Woodcock J et al. N Engl J Med 2017;377(1):62–70.

4. Park JJH et al. Trials 2019;20(1):572.

5. Park JJH et al. CA Cancer J Clin 2020;70(2):125–37.

6. Drilon AE et al. JCO 2021;39(15_suppl):TPS3154-TPS3154.

7. TAPISTRY Study protocol. Verfügbar unter   clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04589845. [14.11.2021].

8.Skovlund E et al. Eur J Cancer 2018;101:69–76.

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