Auf den Spuren einer Gehirnkrankheit

Alzheimer ist eine komplexe Krankheit, die viele Jahre vor dem Auftreten von Symptomen beginnt. Doch was passiert dabei im Gehirn von Betroffenen? Erste Antworten gibt es schon dazu, und die Forschung arbeitet in viele Richtungen weiter. Das Ziel: Vorgänge im Körper besser zu verstehen, um die Erkrankung künftig wirksamer behandeln zu können.

Amyloid-beta und Tau: die Alzheimer-Proteine  

Über zwei Alzheimer-Verursacher weiß man schon ziemlich viel: die Amyloid-beta- und Tau-Proteine. Diese Eiweißstoffe spielen in verschiedenen Phasen der Erkrankung eine wichtige Rolle im Gehirn von Betroffenen.

Früh während der Alzheimer-Krankheit kann es zu einer Fehlfunktion bestimmter Enzyme kommen, so dass sich Amyloid-beta zwischen den Nervenzellen im Gehirn ablagert. Diese sogenannten „Plaques“ können sich nicht nur in den Nervenspalten (Synapsen), sondern auch an kleinen Blutgefäßen ansammeln.1  

Später im Verlauf der Krankheit können sich auch die Tau-Proteine verändern. Normalerweise haben sie die Aufgabe, das Nervenzell-Gerüst zu stabilisieren. Bei Alzheimer lösen sie sich vom Zellskelett und verkleben miteinander. Diese sogenannten „Tangles“ häufen sich – anders als beim Amyloid-beta – innerhalb der Nervenzellen an.1

 Abb: Auch wenn verschiedene Faktoren zur Pathogenese der Alzheimer-Krankheit beitragen, konzentriert sich die Forschung auf die Amyloid-beta- und Tau-Hypothese.

Dass diese Vorgänge zusammenhängen könnten, wurde schon länger vermutet. Die Amyloid-Kaskaden-Hypothese geht davon aus, dass Amyloid am Anfang der Alzheimer-Erkrankung steht und zu den Veränderungen am Tau-Protein führt. Forscher:innen haben nun ein mögliches fehlendes Bindeglied in dieser Reaktionskette entdeckt. Das Inflammasom ist ein Proteinkomplex in den Immunzellen des Gehirns und wird von Amyloid-beta aktiviert. Es führt daraufhin nicht nur zur Entstehung neuer Plaques, sondern beeinflusst auch Enzyme, die zur Bildung von Tau-Tangles führen.2

Bei Alzheimer führen also charakteristische Amyloid-beta-Plaques und Tau-Tangles zur gestörten Kommunikation zwischen den Nervenzellen und langfristig zum Zelltod. Betroffene verlieren damit über die Zeit wichtige Gehirnleistungen wie zum Beispiel das Denken, Erinnern und Sprechen.

Forschung in viele Richtungen

Neben diesen schon bekannten Faktoren geht die Suche nach anderen Ursachen der Alzheimer-Krankheit in viele Richtungen weiter:

  • Die Cholinerge Hypothese geht davon aus, dass das Absterben von Acetylcholin-produzierenden Nervenzellen und die dadurch verminderte Synthese des Neurotransmitters Alzheimer verursacht.3
  • Die Mitochondriale Kaskaden Hypothese sieht eine Fehlfunktion der Mitochondrien als primären Prozess an, der die Kaskade von Stoffwechsel-Ereignissen auslöst, die zu Alzheimer führen.4,5
  • Die Calcium-Homöostase Hypothese besagt, dass Calcium-Gleichgewicht (Homöostase) und -Dynamik bereits früh zu Beginn der Erkrankung gestört sind. Laut neuesten Erkenntnissen ist insbesondere das Amyloid-Vorläuferprotein APPsα an der Regulation der Calcium-Dynamik beteiligt.6
  • Die Neurovaskuläre Hypothese postuliert, dass Fehlfunktionen der Nerven und Blutgefäße auch eine Rolle bei der Entstehung von Alzheimer spielen. So ist z. B. belegt, dass die Blut-Hirn-Schranke bei Alzheimer verändert ist.7
  • Die Entzündungshypothese geht davon aus, dass Entzündungen nicht nur eine Begleiterscheinung von Alzheimer sind, sondern auch zum Fortschreiten der Neurodegeneration beitragen. Die Amyloid-Kaskaden-Hypothese gehört dazu.2
  • Die Metallionen-Hypothese setzt sich u.a. mit der Rolle von Biometallen (z. B. Kupfer Zink und Eisen) in der Alzheimer-Pathogenese auseinander.7
  • Die Hypothese des lymphatischen Systems setzt sich u. a. mit der Rolle der Lymphgefäße der Hirnhaut und der Alzheimer-Pathogenese auseinander.7

Geforscht wird auch zum möglichen Zusammenhang zwischen Alzheimer und Bakterien, Viren (insbesondere Herpes-Viren) sowie sogenannte MicroRNAs, die eine Rolle bei der Genregulation spielen.7

Stiller Beginn, schleichender Verlauf

Während Wissenschaftler:innen die Ursachen der Alzheimer-Krankheit weiterhin erforschen, ist eines inzwischen klar: Die Erkrankung beginnt schleichend, lange bevor die Anzeichen davon nach außen sichtbar werden. Zwischen den ersten Veränderungen im Körper und dem Auftreten von Symptomen können bis zu 25 Jahre vergehen.8

Das Wissen über die Proteinablagerungen im Gehirn hat den Vorteil, dass Amyloid-beta und Tau als Biomarker für die Diagnose verwendet werden können.1 Das gibt Ärzt:innen und Betroffenen die Chance, die Krankheit möglichst früh zu erkennen und präventive Maßnahmen einleiten zu können.

Sie wollen mehr über aktuelle Forschungsansätze im Bereich der Therapie wissen?  Hier gibt es weitere Infos dazu.

1. Jack CR, et al.: NIA-AA Research Framework: Toward a biological definition of Alzheimer’s disease. Alzheimers Dement. 2018; 14 (4): 535–62

2. Ising, C., Venegas, C., Zhang, S. et al. NLRP3 inflammasome activation drives tau pathology. Nature 575, 669–673 (2019). https://doi.org/10.1038/s41586-019-1769-z

3. Francis, P. T., Palmer, A. M., Snape, M. & Wilcock, G. K. The cholinergic hypothesis of Alzheimer’s disease: a review of progress. J. Neurol. Neurosurg. Psychiatry 66, 137–147 (1999).

4. Swerdlow, R. H., Khan, S. M. (2004). A “mitochondrial cascade hypothesis” for sporadic Alzheimer’s disease. Med. Hypotheses 63, 8–20. doi: 10.1016/j.mehy.2003.12.045

5. Swerdlow, R. H., Burns, J. M., Khan, S. M. (2014). The Alzheimer’s disease mitochondrial cascade hypothesis: progress and perspectives. Biochim. Biophys. Acta 1842, 1219–1231. doi: 10.1016/j.bbadis.2013.09.010

6. Susann Ludewig, Ulrike Herrmann, Kristin Michaelsen-Preusse, Kristin Metzdorf, Jennifer Just, Charlotte Bold, Ulrike C. Müller, Martin Korte, APPsα rescues impaired Ca2+ homeostasis in APP and APLP2 deficient hippocampal neurons, PNAS, 2021,
https://doi.org/10.1073/pnas.2011506118

7. Liu, PP., Xie, Y., Meng, XY. et al. History and progress of hypotheses and clinical trials for Alzheimer’s disease. Sig Transduct Target Ther 4, 29 (2019). https://doi.org/10.1038/s41392-019-0063-8

8. Bateman RJ et al. N Engl J Med 2012;367(9):795-804