Immer mehr Menschen weltweit erkranken an Alzheimer. Da lässt sich nichts machen? Das stimmt nicht ganz. Derzeitige Therapieoptionen helfen bereits bei der Symptomlinderung und Kognitionsverbesserung. Daneben wird weiterhin an krankheitsmodifizierenden Therapieansätzen für die Zukunft gearbeitet. Ein Überblick.
Seit Jahrzehnten forschen Wissenschaftler:innen intensiv an Therapien gegen Demenz und Alzheimer. Die Brisanz des Themas für unsere Gesellschaft zeigen aktuelle Zahlen: Etwa 55 Millionen Menschen leiden derzeit weltweit an Demenz, in Deutschland sind es rund 1,6 Millionen – und es werden immer mehr.1,2 Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO dürften bis zum Jahr 2030 weltweit rund 40% mehr Menschen mit Demenz leben als heute, das sind 78 Millionen Betroffene.1 Schätzungen gehen davon aus, dass diese Zahl bis zum Jahr 2050 sogar auf 139 Millionen weltweit bzw. 3 Millionen in Deutschland ansteigen wird.1,2
Laut Angaben des Bundesgesundheitsministeriums ist dabei die Alzheimer-Krankheit mit einem Anteil von circa 60 bis 65% die häufigste irreversible Demenzform.3 Frauen sind dabei fast doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Was kann man also tun? Um das Fortschreiten der Alzheimer-Demenz bei Betroffenen so lange wie möglich aufzuhalten, sind Früherkennung und rechtzeitige Intervention unerlässlich. Das Spektrum an Möglichkeiten zur Frühdiagnose hat sich um neue digitale Diagnose-Tools
(z. B. der neotivCare-App*) erweitert, und aktuelle Erkenntnisse zu den 12 Demenz-Risikofaktoren können die Identifizierung potentieller Risikopatient:innen erleichtern.4
Nach der Diagnose sollte zügig in den Krankheitsverlauf eingegriffen werden. Expert:innen betonen, dass es nie zu früh oder zu spät ist, Betroffene mit maßgeschneiderten Interventionen zur Förderung ihrer Allgemein- sowie Gehirngesundheit zu unterstützen.4 Dazu können Maßnahmen zur Sekundärprävention bzw. zum Risikomanagement gehören oder eine erhaltende bzw. symptomlindernde Therapie. Krankheitsmodifizierende Therapien – an denen weltweit intensiv geforscht wird – könnten in der Zukunft neue Chancen in der Behandlung von Alzheimer eröffnen.
Bisher zugelassene Alzheimer-Medikamente richten sich primär auf die Symptomlinderung und die Behandlung möglicher Begleiterkrankungen. Mit Antidementiva wird die Gedächtnisleistung möglichst lange erhalten, während Depressionen und Verhaltensauffälligkeiten durch Antidepressiva und Neuroleptika gemildert werden können.5
In Deutschland sind derzeit vier verschreibungspflichtige Antidementiva zugelassen: die Acetylcholinesterase (ACE)-Hemmer Donepezil, Rivastigmin und Galantamin sowie der NMDA-Rezeptorantagonist Memantin.5
ACE-Hemmer verzögern den Abbau des Botenstoffs Acetylcholin. Dieser ist für die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen zuständig und wird bei der Alzheimer-Krankheit nicht mehr in ausreichender Menge produziert. Im frühen bis mittleren Stadium der Krankheit können ACE-Hemmer diesen Mangel für einige Zeit ausgleichen, um bei Betroffenen den Abbau des Erinnerungs- und Denkvermögens möglichst lange hinauszuzögern.5
Memantin hat eine neuroprotektive Wirkung und wird bei mittelschweren und schweren Formen der Alzheimer-Krankheit eingesetzt. Der NMDA-Rezeptorantagonist schützt die Nervenzellen vor dem übermäßigen Einstrom des Botenstoffs Glutamat, dessen Freisetzung und Aufnahme bei Menschen mit Alzheimer gestört ist.6 Da diese Prozesse im Gehirn eine wesentliche Rolle beim Lernen und Erinnern spielen, kann Memantin helfen, bei Alzheimer-Betroffenen die Lernfähigkeit und Gedächtnisleistungen länger aufrechtzuerhalten.7
Weitere zentrale Bausteine der Therapie sind die kognitive und psychosoziale Intervention. Aber auch Ergotherapie kann zum Erhalt der Alltagsfunktionen beitragen. Treten psychische oder Verhaltensauffälligkeiten auf, kann eine psychotrope Medikation eingesetzt werden.5
Weltweit arbeiten Forscher:innen mit großem Einsatz an neuen Therapien gegen die Alzheimer-Krankheit: Im Jahr 2021 wurden insgesamt 126 Wirkstoffe in 152 Studien untersucht, davon 28 in Phase III-, 74 in Phase II-, und 24 in Phase I-Studien. Der größte Anteil dieser Medikamente (82,5%) hatte einen krankheitsmodifizierenden Ansatz. 10,3% zielten auf die Kognitionsverbesserung bei Alzheimer-Betroffenen hinaus, und 7,1% sind zur Linderung neuropsychiatrischer Symptome entwickelt worden.8
Es gibt Hinweise darauf, dass Ablagerungen (sog. amyloide Plaques) des Amyloid-beta-Proteins im Gehirn von Alzheimer-Betroffenen zum Absterben von Nervenzellen führen.9 Mehrere Forschungsansätze zur Modifikation der Alzheimer-Krankheit setzen deshalb an dieser Stelle an:10
- Bei den Amyloid-beta-reduzierenden Therapien, an denen unter anderem das Pharmaunternehmen Roche forscht, heften sich gentechnisch hergestellte Antikörper (monoklonale Antikörper) an Amyloid-beta-Peptide. Dies fördert den Abbau von Amyloid-beta Fibrillen und Plaques durch das Immunsystem.
- Therapeutische Aktivimpfstoffe sorgen dafür, dass im Körper von Behandelten selbst Antikörper gebildet werden. Diese sollen sich an die Beta-Amyloid-Plaques heften und so deren Abbau einleiten.
- Beta-Sekretase-Hemmer sollen die Neubildung von Amyloid-beta-Ablagerungen verhindern.
Weitere Forschungsansätze sind Kinasen sowie der Energiestoffwechsel der Nervenzellen.10 Es wird auch an Wirkstoffen zur Verhinderung der Bildung von Tau-Fibrillen geforscht – Proteinstränge, die sich bei Alzheimer in den Nervenzellen bilden und für die Gehirndegeneration verantwortlich sein könnten. Der gegen das Tau-Protein gerichtete Antikörper Semorinemab ist bei Roche gerade in der klinischen Entwicklung, wobei sich die entsprechende Studie in Phase II befindet.11
Ebenfalls in der klinischen Erforschung sind Wirkstoffe, die psychotische Begleitsymptome bei Alzheimer-Betroffenen lindern sollen. In Phase III-Studien werden derzeit untersucht: das Antipsychotikum Brexipiprazole sowie Pimavanserin und Kombinationspräparate mit Dextromethorphan, die Symptome wie Agitation adressieren sollen.10
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1. World Health Organization (WHO): Global status report on the public health response to dementia;
https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/344701/9789240033245-eng.pdf (aufgerufen am 03.03.2022)
2. Bickel H und Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V., Selbsthilfe Demenz. Informationsblatt 1. Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen, Stand: Juni 2018, https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/alz/pdf/factsheets/infoblatt1_haeufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf (aufgerufen am 07.12.2021)
3. Bundesministerium für Gesundheit. Nationale Demenzstrategie. (2020); https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Pflege/Berichte/2021-01-14_Nationale_Demenzstrategie_Kurzfassung_DE.pdf (aufgerufen am 03.03.2022)
4. Livingston G, et al. Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission, Lancet. 2020 Aug 8;396(10248):413-446. doi: 10.1016/S0140-6736(20)30367-6.
5. S3-Leitlinie Demenzen. (2017). Deutschland: Springer Berlin Heidelberg.
6. http://www.medizinfo.de/kopfundseele/alzheimer/memantine.shtml (aufgerufen am 03.03.2022)
7. https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/Alz/pdf/factsheets/infoblatt5_medikamentoese_behandlung_dalzg.pdf
(aufgerufen am 03.03.2022)
8. Cummings J et al. Alzheimer's disease drug development pipeline: 2021. Alzheimers Dement (N Y). 2021 May 25;7(1):e12179. doi: 10.1002/trc2.12179. PMID: 34095440; PMCID: PMC8145448.
9. Jack CR, et al. NIA-AA Research Framework: Toward a biological definition of Alzheimer’s disease.
Alzheimers Dement. 2018; 14 (4): 535-62.
10. https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/neue-alzheimer-medikamente-in-entwicklung.html
(aufgerufen am 25.08.2022)
11. https://www.alzforum.org/therapeutics/semorinemab (aufgerufen am 03.03.2022)