Die Diagnose von Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) basiert hauptsächlich auf der klinischen Präsentation, den Befunden der Bildgebung mittels Magnetresonanztomografie (MRT) und den Laborbefunden, insbesondere der Liquoruntersuchung und dem Nachweis von spezifischen Autoantikörpern (Ak) gegen das Wasserkanalprotein Aquaporin-4 (AQP4).1-6 Die optische Kohärenztomografie (OCT) ergänzt als valides und effizientes Instrument die Diagnostik und Verlaufsbeurteilung bei NMOSD.1
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Die Diagnosestellung erfolgt anhand der im Jahr 2015 revidierten Kriterien des „International Panel for NMO Diagnosis“ (IPND) unter Betonung des AQP4-Ak-Status.
Unterschieden werden eine seropositive (AQP4-Ak-seropositiv) und seronegative NMOSD (AQP4-Ak-seronegativ).4,5 Bei der AQP4-Ak-seropositiven Form ist der Nachweis von AQP4-Ak bei klinischer Präsentation eines der 6 klinischen Kernkriterien für die Diagnose einer NMOSD ausreichend.4,5 Bei der seronegativen NMOSD müssen zusätzliche klinische und MRT-Befunde vorliegen.4,5
Internationale Konsensuskriterien für die Diagnose von NMOSD4,5
Diagnose bei AQP4-Ak-seropositiven Patient:innen
Diagnose bei AQP4-Ak-seronegativen Patient:innen mit unbekanntem AQP4-Ak-Status
Bei Auftreten 1 der folgenden Kernkriterien im Rahmen eines akuten Schubs und nach Ausschluss von Differenzialdiagnosen (DD):
Mind. 2 der links genannten Kernkriterien im Rahmen eines oder mehrerer akuter Schübe und nach Ausschluss von DD. Zusätzlich müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
Symptomatisches zerebrales Syndrom (mit für eine NMOSD typ. zerebraler MRT-Läsion)
Mind. 1 der Kernkriterien muss eine ON, eine Myelitis oder ein Area-postrema-Syndrom sein.
Es muss sich um 2 unterschiedliche Kernkriterien handeln („räumliche Dissemination“)
Je nach Klinik müssen die unten genannten MRT-Kriterien erfüllt sein
Opticusneuritis
Kraniales MRT mit Normalbefund oder nur unspezifischen Marklagerläsionen oder
MRT der Sehnerven mit entwickelter T2-Hyperintensität oder Kontrastmittel (KM)-Anreicherung, jeweils mindestens die Hälfte der Länge des N. opticus einnehmend oder das Chiasma betreffend
Myelitis
Spinales MRT mit intramedullärer Läsion, die sich über mind. 3 Segmente erstreckt
oder
Fokale Rückenmarksatrophie, die sich über mind. 3 Segmente erstreckt
Area-postrema-Syndrom
Nachweis einer Läsion in der dorsalen Medulla oblongata (Area postrema)
Hirnstammsyndrom
Nachweis einer periependymalen Hirnstammläsion
Dienzephales Syndrom oder Narkolepsie
Läsionen mit Beteiligung des Hypothalamus, Thalamus, oder periependymaler Areale des dritten Ventrikels
Zerebrales Syndrom
Große, konfluierende, einseitige oder beidseitige Läsionen, subkortikal oder im Marklager gelegen
Langstreckige (mind. die Hälfte des Corpus callosum umfassende), diffuse, heterogene oder ödematöse Corpus-callosum-Läsionen
Langstreckige Läsionen entlang des Kortikospinaltrakts – ein oder beidseitig – unter Beteiligung der Capsula interna und Kleinhirnschenkel
Ausgedehnte periependymale Hirnläsionen, häufig mit Schrankenstörung
Bei Verdacht auf eine NMOSD ist die Bildgebung der gesamten Neuroachse mittels kranialer und spinaler MRT jeweils vor und nach KM-Gabe das wichtigste bildgebende und diagnostische Verfahren.6
Charakteristische MRT-Befunde bei akuter Opticusneuritis:1
Signalsteigerung in fettunterdrückten T2-Sequenzen sowie KM-Anreicherung innerhalb des Sehnervs in T1-gewichteten Sequenzen
Beteiligung beider Nn. optici
Häufig langstreckige Affektion des entsprechenden Sehnervs mit Ausdehnung bis ins Chiasma opticum
Mehr als die Hälfte des Sehnervs betreffende Läsionen, bevorzugt hintere Sehnervensegmente beteiligt
Charakteristische MRT-Befunde bei Myelitis:1
Langstreckige T2-hyperintense Signalanhebungen über ≥ 3 vertebrale Segmente (Longitudinale Extensive Transverse Myelitis; LETM), nach Gadolinium-Applikation kann sich eine Schrankenstörung zeigen (CAVE: Verlaufsaufnahmen können multiple kurzstreckige Läsionen zeigen)
Oft den kompletten Myelon-Querschnitt einnehmende Läsionen in axialen Sequenzen, mehrheitlich zentral gelegen
„bright spotty lesions“ (zentral im Myelon gelegene T2 liquorisointense Läsionen)
Eventuell zystische Läsionen, teilweise zentral-nekrotisch und Kavitationen
Postakut: meist hochgradige Atrophie des zuvor entzündlich geschwollenen Myelons („Sanduhr-Myelon“)
Charakteristische MRT-Befunde bei Beteiligung des Zwischenhirns, Hirnstamms und Großhirns:1
Wolkige, unscharf begrenzte Läsionen („cloud-like enhancement“) sowie lineare Kontrastmittelaufnahme nahe dem Ependym der Seitenventrikel („pencil-thin enhancement“)
Supratentorielle zerebrale Läsionen sind bei Erkrankungsbeginn eher selten, treten jedoch bei bis zu 80 % der Patient:innen im weiteren Krankheitsverlauf auf
Hinweis: Bilder mit entsprechenden MRT-Befunden sind u.a. in der folgenden Publikation zu finden: Wingerchuk DM et al. International consensus diagnostic criteria for neuromyelitis optica spectrum disorders. Neurology 2015; 85: 177-189
Testung auf AQP4-Ak
AQP4: Aquaporin-4 ; ELISA: Enzyme linked immunosorbent assay (Antikörper-basiertes Nachweisverfahren); FACS: Fluorescence Activated Cell Sorting (spezielle Art der Durchflusszytometrie)
Bei klinischem Verdacht auf NMOSD sollten AQP4-Ak im Serum bestimmt werden.1-6 Dabei sind grundsätzlich zellbasierte Testverfahren gegenüber Immunpräzipitations- und ELISA-Verfahren zu bevorzugen.
Vorgehen bei Seronegativität
Sofern der erste Test negativ ist, die Symptomatik jedoch für eine NMOSD spricht, sollte die Testung wiederholt werden und zusätzlich auf MOG-Antikörper getestet werden. Zellbasierte Testverfahren werden empfohlen.5
Bei der Interpretation der Testergebnisse ist zu berücksichtigen:5
AQP4- und MOG-IgG-Serumtiter sind je nach Therapiestatus und Krankheitsaktivität erheblichen Schwankungen unterworfen; bei initial seronegativen Patient:innen sind eventuell AQP4-Ak im Verlauf nachweisbar
Akuttherapien wie Aphereseverfahren und einige immunsuppressive Intervalltherapien können den AQP4-Ak-Titer beeinflussen, so dass der AQP4-Ak Test therapiebedingt negativ ausfallen kann. Daher sollte, wenn möglich, die Testung vor Beginn einer Immuntherapie erfolgen, immer jedoch vor einer Behandlung mit Plasmapherese oder Immunadsorption
Zum Ausschluss falsch-negativer Befunde sollten AQP4-Ak seronegative Patient:innen im späteren Erkrankungsverlauf erneut getestet werden, vor allem in therapiefreien Intervallen und im akuten Krankheitsschub
Folgende Laboruntersuchungen sind bei der Erstdiagnostik empfehlenswert, auch um bei NMOSD häufig koexistierende Autoimmunerkrankungen, wie MS, zu erkennen oder auszuschließen:1,5
Vitamin B12-Spiegel zum Ausschluss einer funikulären Myelose
Eine Liquordiagnostik ist obligat und sollte folgende Parameter umfassen:3,5,6
Zytologie: Zellzahl und -differenzierung
Proteinanalytik (in synchron abgenommenen Liquor-Serum-Proben):
Gesamtprotein
Albuminquotient
IgG/IgA/IgM-Quotienten, IgG-Index
Oligoklonale Banden (OKB)
MRZ-Reaktion (Antikörperindizes gegen Masern-, Röteln-, Varizella-Zoster-Viren)
Bei NMOSD-Patient:innen finden sich häufig folgende Befunde bei der Liquoruntersuchung:1,5
Normale Zellzahl in Remissionsphasen und leichte bis mäßige Pleozytose (gelegentlich aber auch > 300 Zellen/μl) während des Schubs mit oft granulozytärem Anteil (Neutrophile, seltener auch Eosinophile)
Pathologisch erhöhter Liquor/Serum-Albuminquotient als Korrelat einer Störung der Blut-Liquor-Schranke (in ca. 50 % der Fälle)
Meist fehlende oder nur transient vorhandene liquorspezifische OKB (nur in ca. 20 – 30 % der NMOSD-Proben und oft nur während akuter Schübe, dagegen persistierend in > 95 % der MS-Proben nachweisbar)
MRZ-Reaktion nur selten positiv
In den letzten Jahren hat sich die retinale OCT als neues bildgebendes Instrument bei neuroinflammatorischen Prozessen etabliert.1,7
Die Technik ermöglicht die nicht-invasive Erfassung der retinalen Nervenfaserschichtdicke, der Ganglionzellschicht und mikrozystischer Makulaödeme in der inneren Körnerschicht innerhalb weniger Minuten.1,7 Dabei korreliert die durch die Opticusneuritis verursachte Beeinträchtigung der visuellen Lebensqualität bei NMOSD mit dem Ausmaß der mittels OCT gemessenen Netzhautschädigung.7
1. Pache F et al., Fortschr Neurol Psychiatr 2017; 85: 100-114