Schlüsselzytokin IL-6

Pathophysiologische Rolle & Therapieansätze

NMOSD-Therapie: Wirksame Langzeitkontrolle durch IL-6-R-Blockade

Das proinflammatorische Zytokin Interleukin-6 (IL-6) spielt eine Schlüsselrolle bei der Pathogenese der seltenen Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) und ist als Knotenpunkt direkt zu Beginn neuroimmunpathologischer Signalkaskaden maßgeblich an der Auslösung von Autoimmunreaktionen beteiligt. Seit Juni 2021 steht eine Therapieoption zur Verfügung, welche die IL-6-bedingte Entzündungskaskade bei Aquaporin-4-Antikörper (AQP4-Ak)-seropositiver NMOSD frühzeitig unterdrücken kann.

Die Pathogenese der NMOSD

Die NMOSD ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung mit überwiegend schubförmigem Verlauf, der unbehandelt schwere Folgen haben kann.1-3
Bei ihrer Pathogenese kommt es vornehmlich zu einer autoimmun­vermittelten Zerstörung von Astrozyten.1,4 In diesem Prozess spielen Ak gegen das Wasserkanalprotein AQP4 eine entscheidende Rolle. Neben ihrer pathogenetischen Relevanz, stellen die AQP4-Ak aufgrund ihrer Spezifität auch einen wichtigen diagnostischen Marker für NMOSD dar.5 Im zentralen Nervensystem (ZNS) wird AQP4 insbesondere an Astrozytenfortsätzen nahe der Blut-Hirn- Schranke (BHS) und Blut-Liquor-Schranke exprimiert.6
Als zentraler Mechanismus in der Pathogenese der AQP4-Ak-seropositiven NMOSD gilt die AQP4-Ak-vermittelte komplementabhängige Zytotoxizität und Zerstörung der Astrozyten.4
Darüber hinaus kommt es aufgrund der entzündlichen Prozesse zu einer sekundären Schädigung von Neuronen und Oligodendrozyten mit nachfolgender Demyelinisierung und Neuronenverlust.1,4 Der Verlust der Astrozyten und die Neurodegeneration manifestiert sich überwiegend an den Sehnerven, am Rückenmark und der Area postrema.1,4 Zu den häufigsten klinischen Symptomen zählen eine akute Myelitis und typischerweise bilaterale Optikusneuritis.1,4,7

Weitere Informationen zur Pathogenese der NMOSD erhalten Sie hier

Erhöhte IL-6-Spiegel bei NMOSD

Neben den AQP4-Ak und der AQP4-Ak-vermittelten komplementabhängigen Zytotoxizität nimmt auch das Zytokin IL-6 in der NMOSD-Pathogenese eine Schlüsselrolle ein.8 Studien haben gezeigt, dass im Vergleich zur MS und anderen neurologischen Erkrankungen, die IL-6-Spiegel in Liquor und Serum von NMOSD-Patient:innen insbesondere in Phasen akuter Krankheitsaktivität erhöht sind (Abb.1).9,10 Zudem wurden bleibende Behinderungen nach einem Schub mit höheren IL-6-Konzentrationen im Liquor in Verbindung gebracht.11

Abb. 1: Nachweis erhöhter IL-6-Spiegel im Liquor von NMSOD-Patient:innen
* Statistische Unterschiede auch nach mehrfachen Vergleichs-Anpassungen; p < 0,001
IL-6: Interleukin-6; MS: Multiple Sklerose; NMOSD: Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen; ONDs: andere neurologische Erkrankungen (other neurological diseases)
Mod. nach Uzawa A et al., Mult Scler 2010; 16:1443–1452

Die pathophysiologische Rolle von IL-6

Das lösliche, pleiotrope Zytokin IL-6 besitzt proinflammatorische und antiinflammatorische Eigenschaften und wird in einer Vielzahl verschiedener Zelltypen des Immunsystems synthetisiert, zu den wichtigsten zählen Makrophagen, B- und T-Zellen.12-15
Die IL-6-Signalübertragung erfolgt Zelltyp-abhängig über den membrangebundenen und / oder über den löslichen IL-6-Rezeptor (R).16,17 Als zentraler Knotenpunkt direkt zu Beginn neuroimmunpathologischer Signalkaskaden ist IL-6 maßgeblich an der Entstehung von Autoimmunreaktionen beteiligt18-23 (Abb. 2):

 

Peripherie

  • T-Zellen: IL-6 fördert die spezifische T-Zell-Differenzierung zu proinflammatorischen Th17-Zellen16,24-26
  • B-Zellen: IL-6 ist an der Differenzierung von B-Zellen zu Plasmablasten und Aktivierung der AQP4-Ak-Produktion beteiligt16,24-26
  • BHS: IL-6 erhöht die Permeabilität der BHS für Ak und proinflammatorische Zellen8,20,27-29

 

Peripherie und ZNS

  • Komplementsystem: IL-6 regt die Produktion von Komplementkomponenten an16,24-26

Abb. 2: IL-6 aktiviert eine B- und T-Zell-vermittelte Entzündungskaskade und führt mit AQP4-Ak und Komplementsystem zur Schädigung der Astrozyten und sekundärer Demyelinisierung.
AQP4: Aquaporin-4; IgG: Immunglobulin G; IL-6: Interleukin-6; ZNS: Zentrales Nervensystem
Mod. nach Fujihara K et al., Neurol Neuroimmunol Neuroinflamm 2020; 7:e841

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Satralizumab: Direktes Eingreifen zu Beginn der Entzündungskaskade

Der humanisierte, monoklonale Anti-IL-6-R-Recycling-Ak Satralizumab (Enspryng®) wurde entwickelt, um eine nachhaltige und frühzeitige Unterdrückung der IL-6-Signalübertragung zu gewährleisten und ist zur Behandlung von AQP4-Ak-seropositiver (AQP4-IgG+) NMOSD für Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren direkt ab Diagnose zugelassen.30

Studien weisen darauf hin, dass durch die gezielte Blockade des IL-6-R durch Satralizumab eine nachhaltige Unterdrückung von pathologischen B- und T-Zell-vermittelten Prozessen vermutlich direkt zu Beginn der Signalkaskade erreicht und die Dysfunktion der BHS reduziert werden kann.16,24-25,28 Damit könnte der IL-6-R-Blocker sowohl auf zellulärer als auch auf humoraler Wirkebene eine gut steuerbare Therapieoption darstellen, die ursächlich und frühzeitig in die NMOSD-Pathogenese eingreift.16,31-32

Darüber hinaus besitzt Satralizumab, im Gegensatz zu anderen IL-6-R-Blockern, besondere Eigenschaften (Abb. 3):

  • Ein modifiziertes Antigen-Bindungsfragment (Fab) ermöglicht eine hohe Bindungsaffinität sowohl an den membrangebundenen als auch an den löslichen IL-6-R.33,34
  • Eine erhöhte Plasmahalbwertszeit und -persistenz durch Recycling-Ak-Technologie: Durch die pH-abhängige Bindung an den IL-6-R kann jedes Satralizumab-Molekül mehrmals an seine Zielstruktur binden und mehrere IL-6-R in Folge neutralisieren.33,34 Dieser Vorteil resultiert in einer langen therapeutischen Wirkdauer und ermöglicht eine einfache Anwendung mit geringer Applikationsfrequenz (alle 4 Wochen subkutan)30
  • Eine modifizierte Fc-Struktur mit reduzierter Bindungsaffinität zum Fcγ-R, um das Risiko für antikörperabhängige zelluläre Zytotoxizität (ADCC) und komplementabhängige Zytotoxizität (CDC) zu minimieren33,34

Abb. 3: IL-6-R-Blockade mit dem Recycling-Ak Satralizumab
Fab: Antigen-Bindungsfragment; FcRn: neonataler Fc-Rezeptor; gp130: Glykoprotein 130; IL-6: Interleukin-6; mIL-6R: membrangebundener IL-6-Rezeptor; sIL-6R: löslicher IL-6-Rezeptor

SAkura-Studien: Hocheffektive Langzeitkontrolle der NMOSD durch frühe IL-6-R Blockade

Die Wirksamkeit des IL-6-R-Blockers und damit der therapeutische Ansatz einer Modulation direkt zu Beginn der IL-6 Signalübertragung wurden in den beiden zulassungsrelevanten Phase-III-Studien SAkuraStar und SAkuraSky belegt:
Satralizumab reduzierte sowohl als Monotherapie (SAkuraStar) als auch in Kombination mit Immunsuppressiva (SAkuraSky) das Schubrisiko bei Patient:innen mit AQP4-IgG+-NMOSD signifikant und anhaltend – bei einem konstant günstigen Sicherheitsprofil.35,37
Die anhaltende und effektive Langzeitkontrolle durch Satralizumab, insbesondere von schweren Schüben, über rund 6 Jahre wurde durch die aktuellen Daten der bei NMOSD bisher längsten klinischen Verlängerungsstudie SAkuraMoon bestätigt.37

1. Pfeuffer S et al., Akt Neurol 2017; 44:180-193

2. Wingerchuk DM et al., Neurology 1999; 53:1107-1114

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30. Fachinformation Enspryng®

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33. Chugai. Chugai’s Unique Innovative Antibody Technologies. Verfügbar unter: https://www.chugai-pharm.co.jp/english/profile/rd/technologies.html (abgerufen am 05.04.2024)

34. Chugai Pharmaceutical CO., LTD. ClinPharm slides from Chugai.

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36. Yamamura T et al., N Eng J Med 2019; 381(22):2114-24

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29. Elsbernd PM et al., Mult Scler Relat Disord 2021; 48:102696

▼ Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden. Bitte melden Sie Nebenwirkungen an die Roche Pharma AG unter grenzach.drug_safety@roche.com oder Fax +49 7624/14-3183 oder an das Paul-Ehrlich-Institut unter www.pei.de oder Fax: +49 6103/77-1234.

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