Thorakale Onkologie

 

Christian – Jeder muss den für
sich richtigen Weg finden

Wer: Christian
Alter:
57 Jahre, 40 Jahre bei der Diagnosestellung
Diagnose: Lungenkarzinom im Stadium IIIB
Hobbies: Astronomie, Philosophie, PC-Mensch
Engagement:

  • S3-Leitlinie
  • Selbsthilfegruppe

Motto: Wenn es noch etwas Wichtiges zu erledigen gibt, dann tu das jetzt.

„Meine Zeitrechnung beginnt im Jahr 2007.“

Ich bin Christian, von Beruf Physiker, aber schon seit Urzeiten in der Softwareindustrie im Bereich Entwicklung tätig. Auch privat verbringe ich eigentlich viel zu viel Zeit am Rechner... Abgesehen davon beschäftige ich mit gerne mit Astronomie und Philosophie. Aber man findet mich auch draußen: Ich reise gerne und fahre Ski. Zusammen mit meiner Frau und meiner Tochter lebe ich in Heidelberg. Mein Alter? Moment, da muss ich rechnen… Denn im Jahr 2007 begann eine neue Zeitrechnung für mich: In diesem Jahr wurde bei mir ein Bronchialkarzinom diagnostiziert. Und das ist nun 16 ½ Jahre her… also bin ich jetzt 57!

Ich gab „Bluthusten“ in eine Suchmaschine ein

Es fing an im Frühjahr 2007, es waren gerade Osterferien und ich hatte eine leichte Erkältung. Für mich ungewöhnlich war, dass ich Blut hustete. In der Arbeit gab es gerade wenig zu tun, also gab ich einfach mal in eine bekannte Suchmaschine „Bluthusten“ ein. Ich stieß auf einige Beiträge aus Foren zum Thema Lungenkrebs, blieb aber rational und sagte mir: „Nein, du bist gesund!“. Doch hat es mich so weit sensibilisiert, dass ich einen Arzt aufsuchte, um mir schriftlich geben zu lassen, dass alles in Ordnung ist. Dann kam die Überraschung: Im Röntgenbild war nicht alles in Ordnung. Wie sich herausstellte hatte ich ein Adenokarzinom im Stadium IIIB. Ein relativ fortgeschrittenes Stadium, in meinem Fall aber operabel. Dennoch war die Aussage des Oberarztes bei meiner Erstdiagnose: „Wenn es noch etwas Wichtiges zu erledigen gibt in Ihrem Leben, tun Sie es jetzt.“ Der Satz hat mich sehr getroffen, ich war fast empört – ich war doch bis vor einer Woche noch gesund? Und – was kann es denn jetzt überhaupt noch Wichtiges geben? Erst in der Reha merkte ich, das der einprägsame Satz des Oberarztes auch ein wahnsinnig schönes Motto ist, nach dem man leben kann – ob schwer krank oder eben nicht.

 

Aber zurück zu meiner Erkrankung: Ich erhielt alle Therapieoptionen, die damals zur Verfügung standen: OP, Radio- und Chemotherapie. Die Chemotherapie war extrem herausfordernd für mich. Andere Betroffene merken kaum etwas, bei mir waren die Nebenwirkungen jedoch massiv. Und natürlich hatte ich auch Angst. Aber in dieser Situation keine Angst zu haben, wäre doch viel ungewöhnlicher gewesen, oder? Meine große Kraftquelle in dieser Zeit war meine Familie. Meine kleine Tochter stand kurz vor der Einschulung, so wusste ich direkt, wofür ich das alles durchstehe. Allerdings war eine der schlimmsten Erfahrungen für mich, nach der OP in die angsterfüllten Augen meiner Tochter zu sehen. Das Thema Familie war also während meiner Erkrankung ein zweischneidiges Schwert für mich. Und neben meiner Angst und der meiner Familie war für mich die Ohnmacht noch viel belastender. So viele Menschen arbeiten daran, etwas für mich und meine Gesundheit zu tun – und ich? Ich konnte so wenig selbst beitragen.

Bei den Überlebenskurven dachte ich direkt an radioaktiven Zerfall

Herausfordernd war auch, die unterschiedlichen Informationen der einzelnen Ärztinnen und Ärzte aus den verschiedenen Disziplinen – die ja alle auch ihre eigene Art der Kommunikation haben – zu bewerten. Von „Wir sind bei Ihnen auf einem guten Weg“ hin zu „Ihr Zustand ist zwar gerade stabil, aber Statistiken sagen etwas anderes“ habe ich alles gehört und es fiel mir schwer, das Gehörte zu einem konsistenten Gesamtbild zurechtzurücken. Ich habe immer auf eine Zahl gewartet – habe ich noch 6 Monate, 6 Jahre, 60 Jahre? Niemand hat mir eine genannt. Und ich habe nicht gefragt. Für mich war das der große Elefant im Raum. Heute weiß ich es besser, manche Betroffenen möchten keine Zahl wissen und viele Ärztinnen und Ärzte geben ihren Patient:innen solche Zahlen ungern mit auf den Weg. Damals habe ich im Internet nachgelesen, bin auf die Überlebenskurven gestoßen. Das, was ich da gesehen habe, hat mir nicht gefallen. Diese Kurven erinnerten mich an radioaktiven Zerfall! Und hier lassen sich einige Parallelen ziehen: In der Physik zeigt die Kurve die Halbwertszeit des radioaktiven Stoffs in seiner Gesamtheit. Doch es ist nicht möglich die genaue Zerfallszeit für ein einzelnes Atom abzulesen. Und so ist es auch beim Lungenkrebs: es ist eben nicht klar, wie lange ein einzelner Betroffener leben wird – die Kurve ist reine Statistik. Was mich damals auch etwas beruhigt hat, ist: Die Kurven sind Zahlen aus der Vergangenheit entstanden, lange vor meiner Diagnose. Seitdem gab es Fortschritte, auch wenn diese im Jahr 2007 noch nicht so groß waren, wie heute.

Engagement in der Selbsthilfe – Mich an den Wert des Lebens erinnern

Während der Therapie war ich oft verzweifelt und dachte: „Ich will mein altes Leben zurück!“. Als ich jedoch doch wieder im „alten“ Leben Fuß fasste – ich stand im Rahmen einer Wiedereingliederung ein Jahr später schon wieder im Berufsleben, wenige Monate danach arbeitete ich auch wieder Vollzeit – wurde mir jedoch eine Sache bewusst: Ich habe mehr vom Leben zurückbekommen als mir lieb war. Der Alltag schlich sich wieder ein! So schrecklich die Diagnose auch war, sie hat mich gelehrt – und ich weiß, wie platt das klingt – welchen Wert das Leben hat und wie wunderbar ich mich an kleinen Dingen erfreuen kann. Und doch war ich erschrocken, wie schnell sich diese Wahrnehmung im Alltag doch wieder abschleift. Das wollte ich nicht! Ich wollte nicht den Kontakt zu dem Thema Lungenkrebs und der neuen Wertschätzung meinem Leben gegenüber verlieren. Ich merkte z.B. in meiner Reha, dass der Austausch mit anderen Betroffenen in einer ähnlichen Situation enorm hilfreich war, für mich um meinen eigenen Umgang mit der Erkrankung finden. Der Weg dahin ist mit Arbeit verbunden, es gilt einiges zu lernen, und doch empfehle ich das allen Betroffenen. Die Erfahrung, dass die Gespräche mit anderen Betroffenen mir so geholfen haben, weckte in mir das Bedürfnis, das, was ich von diesen Menschen erhalten habe, an andere zurückzugeben oder auch ein positives Beispiel für einen Krankheitsverlauf zu sein.

 

So kam ich zu meinem Engagement in der Selbsthilfe. Wussten Sie, dass Selbsthilfe im Bereich Lungenkrebs gar nicht so selbstverständlich ist wie bei anderen Krebsarten? Das hängt u.a. mit der (Eigen-)Stigmatisierung von Lungenkrebs und der hohen Sterblichkeit zusammen. Da Lungenkrebs mit dem Rauchen assoziiert wird, denken Betroffene häufig, dass sie selbst schuld sind und ein Hilfegesuch oder Unterstützung in Form einer Selbsthilfegruppe nicht angebracht ist. Wir in der Selbsthilfegruppe halten dagegen und sagen: „Es ist möglich, dass dein Verhalten dazu beigetragen hat, Lungenkrebs zu bekommen, jedoch hat es niemand verdient. Was aber alle verdienen, ist Hilfe!“. Ich persönlich habe nie besonders unter Stigmatisierung gelitten, jedoch wundere ich mich schon über die Frage „Haben Sie geraucht?“. Denn egal wie die Antwort lautet, sie ändert nichts an der Tatsache, dass ich nun Lungenkrebs habe. Im Landes- und auch Bundesverband der Selbsthilfe bringe ich gern meine Stärken ein, also nehme mich eher technischen Dingen an, wie der Homepage, oder kümmere mich um virtuelle Meetings. Aber ich mag es auch mich international zu vernetzen und engagiere mich gerne dort, wo es Sprachbarrieren gibt. Ein Herzensprojekt ist außerdem die Mitarbeit an der S3-Leitlinie Lungenkarzinom, für deren Erstellung wir Betroffenen mit am Tisch sitzen dürfen. Natürlich geben wir keinen fachlichen Input, aber die wertvolle Perspektive der Menschen, die die Therapien erhalten.

Der medizinische Fortschritt bedeutet für Betroffene auch: Raus aus der Ohnmacht

Es ist enorm, welche Therapiefortschritte es seit meiner Diagnose gab! Bei mir galt noch der Therapieansatz „One size fits all“, bei dem ich mich als Betroffener auch kaum einbringen konnte. Heute, mit zielgerichteten Therapien und der Möglichkeit als Betroffener selbst tiefer einzutauchen, mitzudenken und sich einzubringen in die Therapieentscheidung ist das etwas ganz anderes. Dieser Fortschritt ist großartig und nimmt einem ein bisschen das Gefühl der Hilflosigkeit! Ein heute frisch diagnostizierter Mensch kann viel mehr Hoffnung daraus schöpfen, dass bei den wachsenden Möglichkeiten, eine wirksame Therapieform für ihn dabei ist. Als Patientenvertreter bekomme ich auch mit, dass häufig junge Betroffene, insbesondere die mit Treiberalterationen, zum einen sehr viel informierter sind, aber auch viel besser durch behandelnde Ärztinnen und Ärzte aufgeklärt werden. Das geht so weit, dass „shared decision making“ möglich ist. Und das ist gut so: Jeder Mensch ist anders, dem einen ist Lebensqualität wichtig, der anderen Lebenszeit. Die Entscheidungen und Einflussfaktoren sind sicherlich auch abhängig von der individuellen Lebensphase. Solche Aspekte und meine persönliche Perspektive gebe ich auch bei meiner Mitarbeit als Betroffener an der S3-Leitlinie Lungenkarzinom zu bedenken. Für mich trägt auch das zu einer guten Behandlung bei: Wenn Ärztinnen und Ärzte, den Betroffenen einen Raum für ihre Bedürfnisse eröffnen, ihnen zuhören und auf sie eingehen. Die Möglichkeit von Betroffenen, sich heutzutage mit Wissen und somit eigenen Präferenzen in die Therapieentscheidung mit einbringen zu können, das empfinde ich als enorm wichtig. Und diesen Fortschritt darf man nicht einbremsen. Ich finde jede neue Therapieoption kann eine Bereicherung sein, selbst wenn sie „nur“ gleichwertig zu anderen Therapien ist. Für mich fragwürdig ist daher eher, dass nur das zugelassen wird, was einen Zusatznutzen gegenüber der Standardtherapie zeigt. In meinen Augen sind mehr Pfeile im Köcher ein Zusatznutzen für die Betroffenen. Sie geben mehr Sicherheit und auch mehr Optionen für bestmögliche Verträglichkeit, die ja sehr individuell ist. Was mich aktuell außerdem beschäftigt, ist die Diskussion um das Früherkennungs-Screening. Was ist denn schlimmer? Der kurze Moment der Angst vor Lungenkrebs bei einer falsch-positiven Diagnose oder die Angst, der man bei einer sicheren Diagnose im fortgeschrittenen Stadium ausgesetzt ist? Die Antwort ist für mich eindeutig.

Christian erzählt seine Geschichte innerhalb unserer Initiative mit dem Bundesverband Lungenkrebs e.V. zum Lungenkrebs-Awarenessmonat im November. Gemeinsam möchten wir so auf die Gesichter und Geschichten hinter Lungenkarzinomen aufmerksam machen. In Christians Verlauf spielt vor allem die Operabilität des NSCLC als Thema eine große Rolle, mehr Informationen für Fachkreise zu dem Thema finden Sie auch hier.

 

Folgen Sie unserem Kanal für weitere Betroffenengeschichten in diesem Monat und erfahren Sie auch mehr über Eva, Julia, Karen, Anette und Uwe, wenn diese aus ihrem Leben mit Lungenkarzinom berichten.

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