Ophthalmologie
Telemedizin Teil III: Wo liegt das
Potenzial der
Teleophthalmologie?
Wir haben mit PD Dr. med. Karsten Kortüm, einem niedergelassenen Ophthalmologen aus Ludwigsburg, gesprochen, um zu erfahren, welche Chancen er in der Telemedizin sieht und wie es um ihre Umsetzbarkeit in Deutschland steht.
Dr. Kortüm verbrachte nach seiner Weiterbildung zum Facharzt der Augenheilkunde zwei Jahre an der Augenklinik der Universität München am Moorfields Eye Hospital in London und unterstützte dort unter anderem telemedizinische Diagnostikprojekte. Ein Blick auf die Versorgungszahlen in England macht deutlich, warum telemedizinische Möglichkeiten dort bereits heute eine so breite Anwendung finden:
Während in Deutschland auf 100.000 Einwohner im Schnitt 8,4 Ophthalmologinnen und Ophthalmologen kommen, sind es in England gerade einmal 0,34.1,2 Die hauptsächliche Versorgung findet dort bei Optikerinnen und Optikern statt und nur bei Bedarf wird an Augenärztinnen und Augenärzte überwiesen. Um dennoch einem stetig wachsenden Patienten-Kollektiv eine adäquate Diagnostik zu ermöglichen, wird die Befundung von der technischen Durchführung entkoppelt: Die Bildgebung wird von Optikern und technischem Personal durchgeführt und die Daten anschließend an ophthalmologische Zentren übermittelt, welche die Befundung durchführen. Laut Dr. Kortüm hat dieses Konzept für England sehr gut funktioniert und ermöglicht dem englischen Gesundheitssystem, die knappen Ressourcen effizient zu nutzen. Angesichts des demografischen Wandels und der sich zuspitzenden Versorgungssituation wären dies also auch in Deutschland möglicherweise richtungsweisende Signale.
Im Interview konnten wir mit Dr. Kortüm nicht nur über seine Erfahrungen aus England sprechen, sondern vor allem auch seine Einschätzung zu den Chancen der Telemedizin in Deutschland erfragen.
Ophthaversum: Herr Dr. Kortüm, die Telemedizin ist eine Möglichkeit, dem demografischen Wandel und dem wachsenden Ressourcenbedarf des Gesundheitssystems entgegenzutreten. Wie gut lässt sich die Telemedizin in der Ophthalmologie einsetzen?
Kortüm: Die ganz klassische Telemedizin wie z.B. beim Hausarzt wird es so in der Augenheilkunde nicht geben können, weil wir das Auge ohne technisches Gerät nicht ausreichend untersuchen können. Wir haben während der Pandemie eine Videosprechstunde angeboten, aber die Möglichkeiten waren stark limitiert. Bei einem Gerstenkorn ist das kein Problem, aber was darüber hinausgeht, wird schwierig.
Ophthaversum: Welche Möglichkeiten der Umsetzung sehen Sie in der Augenheilkunde?
Kortüm: Eine effiziente Lösung wäre beispielsweise eine hybride Form der Versorgung, wie es bereits in England durchgeführt wird: Man stellt an einem Ort Geräte zur Augenuntersuchung zur Verfügung, während die Befundung und Beurteilung an einem anderen Ort und ggf. auch zu einer anderen Zeit stattfindet. Dies könnten auch z.B. augenärztliche Praxen sein, bei denen die Geräte besser ausgelastet werden. Da bestehen durchaus noch politische Herausforderungen, z.B. in der Frage, wo das technische Gerät steht, aber einen Nutzen hätte diese Möglichkeit in jedem Fall. Wichtig ist hierbei nur die Kontinuität der Behandlung, damit Patientinnen und Patienten nicht mit einem auffälligen Befund allein gelassen werden, sondern zeitnah und möglichst automatisch einen Termin erhalten und die Untersuchungsdaten auch an das weiterbehandelnde Team übermittelt werden. Auch könnte durch solch eine hybride Versorgungsform eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht werden, da durch die zeit- und ortsversetzte Untersuchung Heimarbeit für Augenärztinnen und Augenärzte möglich wird.
Ophthaversum: Wäre eine solche Vernetzung und Datenübertragung denn schon jetzt in Deutschland möglich?
Kortüm: Technisch ist das kein Problem, eine Übertragung wäre innerhalb der Telematik Infrastruktur möglich, es ist vielmehr zurzeit noch eine Frage des Willens. Beispielsweise fehlen die Dienste innerhalb dieser Infrastruktur, um z.B. Daten zwischen Behandlern auszutauschen, genauso wie die Abrechenbarkeit.
Wenn ein Patient nur für die Bildgebung in Ihre Praxis kommt und der Befund per E-Mail oder Brief versendet wird, ist die Untersuchung grundsätzlich nicht abrechenbar - denn es muss ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden haben. Im Falle einer Videosprechstunde erfolgt auf die Erstattung noch ein Abschlag.
Das jetzige System verhindert leider aktuell noch, die vorhandenen Ressourcen effizient und flexibel einzusetzen.
Ophthaversum: Gibt es denn Möglichkeiten, telemedizinische Projekte einmal exemplarisch zu testen und so zu untersuchen, welchen Vorteil sie bieten?
Kortüm: Auch das ist leider nicht ohne weiteres möglich. Man könnte theoretisch Selektivverträge mit einer Kasse schließen, aber durch die bestehenden Vorgaben in unserem Gesundheitssystem, Vielzahl der Kassen und die kassenspezifische Abrechnung über gesonderte Formulare ist die Durchführbarkeit leider utopisch.
Ophthaversum: Verpasst Deutschland hier wichtige Chancen?
Kortüm: Absolut. Bereits heute sind knapp 30% der Augenärztinnen und Augenärzte 60 Jahre oder älter.3 Nur immer mehr Geld in das Gesundheitssystem zu stecken, ist keine Lösung für die Probleme, die auf uns zukommen. Deutschland muss beginnen, aktiv mitzugestalten, existierende Abläufe zu hinterfragen und Innovationen zu fördern.
Ein Blick nach England zeigt, dass es sich lohnt, dieses Potenzial zu wecken.