Ophthalmologie

Kurzsichtigkeit bei Jugendlichen
im Zeitalter der Digitalisierung?
Jugendliche + Smartphones = Kurzsichtigkeit?

Wen beschleicht beim Anblick junger Menschen, die ihre Köpfe kollektiv über kleine Bildschirme beugen, nicht das dumpfe Gefühl, dass das nicht gut für die Augengesundheit sein kann – von der der Halswirbel einmal ganz abgesehen?
Schaut man auf die Prävalenz von Kurzsichtigkeit bei Heranwachsenden in Ostasien, Ländern also, die als Vorreiter beim Gebrauch digitaler Medien gelten, kann man sich einer gewissen Beunruhigung kaum noch erwehren: Seit 1950 ist die Häufigkeit von Myopien dort von durchschnittlich etwa 10-20% auf über 60% angestiegen – in einigen Metropolregionen werden gar Prävalenzen von über 80% angegeben.1,2 Dies bedeutet leider nicht nur, dass viele Kinder dort bereits früh eine Sehhilfe benötigen. Bei schwerer Kurzsichtigkeit erhöht das übermäßige Wachstum des Auges das Risiko für Katarakte, Glaukome und sogar Netzhautablösungen. Es wird geschätzt, dass etwa 20% der jungen Erwachsenen in Ostasien eine solch schwere Form der Myopie entwickeln und bis zu 10% irreversible Sehverluste erleiden.2

Vorsichtige Entwarnung für die Lage in Deutschland

Glücklicherweise scheint sich dieser Trend so erst einmal nicht in Deutschland abzuzeichnen: In der deutschlandweiten KiGGS Studie wurden zwischen 2003 und 2017 die Daten von mehr als 32.000 Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 17 Jahren in zwei Befragungswellen mit einem Abstand von 10 Jahren erhoben.3 Wie sich zeigte, liegt die durchschnittliche Myopie-Rate in diesem Alterssegment hierzulande bei etwa 11,5% und blieb innerhalb der 10 Jahre konstant. Wurde innerhalb der multivariablen Analysen um das Alter, Geschlecht und den sozioökonomischen Status bereinigt, war kein signifikanter Zusammenhang mehr zwischen der Nutzungsdauer digitaler Medien und der Myopie-Häufigkeit nachweisbar. Was sich aber herausstellte war, dass die durchschnittliche Lesedauer pro Tag eine positive und signifikante Korrelation zum Auftreten von Kurzsichtigkeit aufweist - wobei “positiv” hier keine wirklich positive Nachricht für Bücherwürmer ist. Eine europäische Metaanalyse fand hingegen durchaus Belege für eine leichte Zunahme der Kurzsichtigkeit innerhalb der letzten Jahrzehnte sowie einen positiven Zusammenhang mit zunehmendem Bildungsstand.4
Sind also statt der “Digital Natives” doch eher die gebildeten Bücherwürmer in Gefahr?

Den Ursachen für Kurzsichtigkeit auf der Spur

Im Kindes- und Jugendalter befindet sich das Größenwachstum des Auges, wie das jedes Organs, in einem Gleichgewicht mit den physiologischen Anforderungen – so ist es möglich, dass das Auge selbst künstlich erzeugte Fehlsichtigkeiten ausgleichen kann.5 In zwei unabhängigen Studien an Schulkindern in den USA und Australien konnte mittlerweile ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Aufenthaltsdauer im Freien und einem selteneren Auftreten von Kurzsichtigkeit nachgewiesen werden. Outdoor-Aktivitäten wirken demnach protektiv gegen Myopien.6,7 Neuere Studien konnten diesen Effekt bestätigen und zeigen, dass neben der Kurzsichtigkeit der Eltern insbesondere die Naharbeit (wie z.B. das Lesen - egal, ob im Buch oder auf dem Smartphone) zu den größten Risikofaktoren gehört.Der tägliche Blick in die Ferne scheint also von großer Bedeutung für den Erhalt der Normalsichtigkeit zu sein.

Warum in die Ferne schweifen?

Eine aktuelle Studie liefert nun einen Erklärungsansatz für den zugrundeliegenden Mechanismus: Sie konnte zeigen, dass das Größenwachstum des Auges über den wellenlängenabhängigen Bildfokus (die sogenannte chromatische Aberration) an die Bedürfnisse angepasst wird.8 Das Auge bricht blaues Licht stärker als rotes Licht. Die Hypothese des Studienteams war, dass dieser Unterschied von der Netzhaut wahrgenommen und als Referenzpunkt für das Augenwachstum verwendet wird. Das Team veränderte daher die Farbkanäle rot, grün und blau von Filmen selektiv so, dass nur der Blau- oder der Rotkanal scharf und der Rest unscharf erschienen. Wurden nun normalsichtigen Proband:innen Filme mit nur scharfem Rotkanal vorgespielt, verkürzten sich deren Augäpfel anschließend, während bei scharfem Blaukanal eine Verlängerung der Augenachse beobachtet werden konnte. Bei kurzsichtigen Proband:innen blieb dieser Effekt aus. Nun wird natürlich diskutiert, ob dieser Effekt dazu genutzt werden kann, die Bildschirmdarstellung digitaler Medien so anzupassen, dass sie der Entstehung von Kurzsichtigkeiten vorbeugt. Vielleicht wäre es aber auch gar nicht so schlecht, wenn Kinder einfach mehr Zeit draußen verbringen würden?

1. Grzybowski A et al. BMC Ophthalmol. 2020 Jan 14;20(1):27.

2. Dolgin E. Nature 2015 Mar 19;519(7543):276-8.

3. Schuster AK et al. Dtsch Arztebl Int. 2020 Dec 11;117(50):855-860.

4. Williams KM et al. Ophthalmology. 2015 Jul;122(7):1489-97.

5. Wallman J and Winawer J Neuron. 2004 Aug 19;43(4):447-68.

6. Jones LA et al. Invest Ophthalmol Vis Sci. 2007 Aug;48(8):3524-32.

7. Rose KA et al. Ophthalmology. 2008 Aug;115(8):1279-85.

8. Swiatczak B and Schaeffel F Sci Rep. 2022 Dec 15;12(1):21704.

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