Zukunft der Onkologie

Mensch vs. Maschine: Wer ist das
bessere Molekulare
Tumorboard?

Sie spielt besser Schach, fliegt sicherer ein Flugzeug und fährt vermutlich auch besser Auto - doch ist sie auch der bessere Onkologe oder die bessere Pathologin? Künstliche Intelligenz (KI) kann uns bereits eine ganze Menge lästiger Aufgaben abnehmen. Im Gegensatz zu vielen Menschen ist sie einerseits gut mit Zahlen und andererseits bereit, geduldig monotone und nervtötende Arbeit zu verrichten. Gut mit Menschen ist sie dagegen nicht, Kreativität, Augenmaß, Empathie und Menschlichkeit gehen ihr ab, insofern - soviel sei vorweggenommen - ist KI für Ärzt:innen kein Konkurrent, sondern ein Werkzeug. Und so sollten wir sie auch nutzen.

 

Wer seine Dokumente bereits seit Windows 95 von der automatischen Rechtschreibprüfung korrigieren lässt, ab und zu ein Übersetzungstool nutzt oder beim Streaming-Dienst auf die personalisierten Empfehlungen vertraut, weiß: Lernende Systeme und Algorithmen können eine echte Hilfe sein - zukünftig vielleicht auch im molekularen Tumorboard?

Wenn in drei Minuten geht, was sonst zwei Wochen dauert

Bereits vor einigen Jahren kamen unter anderem Wissenschaftler der University of North Carolina (UNC) auf die Idee, die komplexe Datenanalytik zumindest teilweise einer KI zu überlassen.1 Klassifikation der vorhandenen molekularen Alterationen, Identifizierung direkt oder indirekt adressierbarer Treiber, Auswahl zugelassener und nicht zugelassener Arzneimittel sowie möglicher klinischer Studien und Reporterstellung: All das machte die KI - und zwar in gerade einmal drei Minuten. Das molekulare Tumorboard der UNC brauchte dafür bislang über zwei Wochen - und übersah dabei noch die ein oder andere adressierbare genetische Variation, die die KI fand.

 

Ist die KI also das bessere MTB und die aufwendige Analyse und Besprechung nur Zeitverschwendung, die auch eine Software erledigen könnte? Keineswegs. Zumal die oben genannte Arbeit natürlich keinen Aufschluss darüber gibt, ob und wie erfolgreich die ausgewählten Therapie tatsächlich war. Ähnlich wie die Rechtschreibprüfung Ihres Textverarbeitungsprogramm hilft der Algorithmus dabei, nichts zu übersehen, liegt aber im Einzelfall nicht unbedingt immer richtig. Ein Werkzeug also, dass in den richtigen (menschlichen) Händen geführt werden will, um nutzbringend eingesetzt zu werden.

 

Zum Podcast:  Das Molekulare Tumorboard: Wie es funktioniert, für wen es Sinn ergibt

Der Punica Superschluck für das MTB

Fast sechs Wochen: Solange dauert es im Schnitt bis das Ergebnis der molekularen Testung vorliegt und im MTB diskutiert wurde. Das zeigen Daten aus einem systematischen Review von Forschern der Universität Verona.2 Dabei schwankt die Dauer enorm: Während es in einigen Fällen weniger als zwei Wochen dauerte, brauchte es anderswo über drei Monate, bis das MTB zu einem Ergebnis kam. Fest steht: Oft ist die Fallbesprechung im MTB ein Flaschenhals. Mit Hilfe des Einsatzes unterstützender KI könnte hier aus der Kapillare ein echter Punica Superschluck werden. Wer die Werbespots der 90er Jahre nicht mehr vor Augen hat: Der Safthersteller warb damals mit einem extra breiten Flaschenhals, um schnell und effektiv mehr Saft von der Flasche in die Kosument:innen zu befördern. Ein Superschluck für MTBs scheint ebenfalls notwendig zu sein, denn adressierbare Alterationen und zielgerichtete Therapieoptionen nehmen weiter zu. Mehr Patient:innen schneller und effektiver durch ein MTB bringen zu können, scheint also mehr als sinnvoll.

Schneller ist nicht besser

KI kann die Analyse und Entscheidungsfindung also beschleunigen. Ob sich eine solche Entscheidung aber als vorteilhaft oder unvorteilhaft für die Patient:innen erweist, steht auf einem anderen Blatt. Schnell ist eben nicht immer besser. Auch hier lohnt sich möglicherweise ein Blick in die Daten, denn aus Baseline-Charakteristika, den Entscheidungsprozessen und Einflussfaktoren im MTB sowie den darauf folgenden Behandlungsergebnissen könnten sich besonders erfolgreiche Entscheidungspfade identifizieren und für zukünftige Patient:innen modellieren lassen.

 

Um sich dieser Vision zu nähern, erarbeiten das Universitätsklinikum Freiburg und Roche derzeit Use Cases, um mit Hilfe von Real-World-Daten aus dem Praxisalltag des Universitätsklinikums Entscheidungsprozesse im MTB besser zu verstehen, zu vereinfachen und Erkenntnisse für zukünftige Fälle zu generieren.

 

“Diese Daten aus dem Versorgungsalltag bieten uns die Chance, Prozesse zu systematisieren und die Ärzt:innen bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen”, erläutert Dr. Katja Janssen, Personalised Healthcare Implementation Lead, Roche Pharma AG.

 

MTBs könnten so nicht nur schneller werden, sondern möglicherweise auch bessere Ergebnisse für mehr Patient:innen generieren. Am Universitätsklinikum selbst soll dazu im Rahmen der Kooperation die nötige Infrastruktur geschaffen werden, um auch physisch zusammenarbeiten zu können. Die Identifizierung eines geeigneten Datensatzes und die Erstellung des Datenschutzkonzept hat bereits begonnen.

1. Adashek JJ et al. Oncologist. 2019;24(10):1291-1293.

2. Luchini C et al. Trends Cancer. 2020 Sep;6(9):738-744.

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