DLBCL
Diffuses großzelliges B-Zell-Lymphom
Wie sieht die Pathologie der Zukunft zur Diagnostik maligner Lymphome aus? Welche Konsequenzen ergeben sich aus personalisierten Ansätzen für die Therapie? Dazu haben wir einen echten Insider befragt. Lesen Sie hier das Interview!
Für die Frage nach der richtigen Therapie versucht die Hämatologie seit mehreren Jahren mittels personalisierter Medizin die richtige Antwort zu finden. Dazu haben wir mit Dr. Markus Herrmann gesprochen. Er ist der ärztliche Direktor der Abteilung „Personalisierte Medizin“ bei Roche Pharma in Basel. Zusammen mit seinem Team entwickelt er innovative Lösungen für die Erkennung histologischer Schnittbilder. Unter Zuhilfenahme von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz sollen dadurch genauere Diagnosen von Lymphomen und anderen malignen Erkrankungen sowie verbesserte Vorhersagen zum Therapieansprechen möglich werden. Welche Rolle personalisierte Medizin in der Lymphomtherapie spielt, erzählt Dr. Herrmann uns im Interview.
Dr. med. Dr. sc. nat. Markus Herrmann
Dr. Herrmann ist approbierter Arzt und Spezialist für Digitale Pathologie. Vor seiner Zeit bei Roche hat er in Boston die Abteilung Computational Pathology am Massachusetts General Hospital geleitet und als Assistenzprofessor für Pathologie an der Harvard Universität gelehrt und geforscht. Darüber hinaus setzt sich Dr. Herrmann für die Einführung, Weiterentwicklung und Standardisierung der Digitalen Pathologie ein und arbeitet in den Präsidien internationaler Gremien und Fachgemeinschaften mit, darunter der Digital Pathology Association (DPA) und dem College of American Pathologists (CAP).
Ja, das ist eine sehr spannende Frage. Viel von dem, was wir jetzt unter personalisierter Medizin verstehen, hat in der Hämatologie angefangen. Die chronische myeloische Leukämie (CML) war einer der entscheidenden Punkte. Molekulare Diagnostik und zielgerichtete Therapie mit Kinase-Inhibitoren bei der CML – das war so ziemlich der Anfang von personalisierter Medizin.
Dann wurde die EGFR-Mutation beim Lungenkrebs entdeckt, wodurch es mit den soliden Tumoren weiterging. In den darauffolgenden zehn Jahren ist viel passiert. Die Entwicklung beim Lungenkarzinom war stark fokussiert auf Mutationen in Tyrosinkinasen, gegen die man einen speziellen Inhibitor hatte: Man hat eine Kinase und es gibt eine Punktmutation oder Translokation, welche die Kinase dauerhaft aktiv macht. Inhibiert man diese Kinase, kann man das Tumorwachstum bremsen.
Bei den Lymphomen ist es schwieriger, vor allem beim DLBCL. Da hat man noch keinen entsprechenden zielgerichteten Ansatz. Es gab mehrere Vorschläge und Ideen – auch über die letzten Jahrzehnte hinweg – die Patient:innen molekular zu stratifizieren. Es ist aber eben nicht so, dass man einen „Driver“ gefunden hat, gegen den man jetzt einfach nur einen Inhibitor braucht, um das Lymphom zu kontrollieren. Dieser „Blueprint“, der von den soliden Tumoren bekannt ist oder eben auch von den Leukämien, ließ sich bisher nicht auf die Lymphome übertragen.
Es gibt auf jeden Fall Trends, auch wenn wir aktuell noch keine richtig gute Lösung gefunden haben. Durch den Einsatz moderner Therapieregime in der Erstlinie hat sich die Prognose beim DLBCL zwar dramatisch verbessert, und 60 bis 70 % der Patient:innen können durch Chemoimmuntherapie geheilt werden. Das heißt aber auch, dass rund 30 bis 40 % der Patient:innen entweder initial gar nicht auf die Therapie ansprechen oder dass der Tumor wieder zurückkehrt. An der Frage, welche Patient:innen ansprechen und welche nicht und wie das Risiko für einen Rückfall schon früh eingeschätzt werden kann, hat sich das Feld regelrecht die Zähne ausgebissen. Bislang wissen wir das noch nicht genau.
Die Subtypisierung nach der Ursprungszelle bzw. „Cell of Origin“ – das ist ein Ansatz, der sich in der Praxis einigermaßen etabliert hat. Anhand des Genexpressionsprofils kann man Patient:innen grob in zwei Gruppen einteilen. Die eine Gruppe umfasst Fälle mit einer ähnlichen Genexpression wie B-Zellen im Keimzentrum von Lymphfollikeln. In die andere Gruppe fallen Patient:innen, bei denen das Expressionsmuster dem aktivierter B-Zellen gleicht. In einigen Studien sah man, dass die erste Gruppe besser auf eine Behandlung ansprach. Daher ist dieser Ansatz schon lange eine gängige Stratifizierungsmethode, allerdings mit relativ geringer klinischer Relevanz.
Später kam eine Gruppierung nach bestimmten Translokationen in Tumorsuppressorgenen und Onkogenen hinzu. Man hat festgestellt, dass Lymphome mit Translokationen zwischen dem MYC-Gen und Immunglobulingenen sowie einer zusätzlichen BCL2-Translokation (sogenannte “Double Hits”) schlechter auf eine Behandlung ansprechen. Solche Fälle werden gemäß WHO-System inzwischen als „High-Grade B Cell Lymphoma with MYC and BCL2 Rearrangements“ bezeichnet, wodurch eine neue Entität in Abgrenzung vom DLBCL definiert wurde. In klinischen Studien wird untersucht, ob diese Patient:innen von einer intensivierten Chemotherapie profitieren.
In den letzten Jahren entdeckte man weitere genetische Veränderungen, die bei DLBCL-Patient:innen auftreten können. Darunter z. B. CD79b oder MYD88. Dadurch konnten weitere genetische Subtypen definiert werden, die aber noch nicht vollständig in der klinischen Praxis angekommen sind – anders als zum Beispiel beim Lungenkarzinom, wo mittlerweile mit breiten Sequenzierungspanels nach bis zu 200 Treiberalterationen gesucht wird, um die Patient:innen möglichst effektiv mit einem der vielen zielgerichteten Wirkstoffe therapieren zu können.
Beim Lymphom ist das noch nicht gängig, da es noch keine klaren therapeutischen Konsequenzen und keine zielgerichteten Therapieoptionen gibt. Wir können eben nicht für jeden dieser molekularen Subtypen einfach einen entsprechenden Inhibitor aus der Tasche ziehen. Daher bleiben die molekulare Subtypisierung und die Einteilung nach klinischen Parametern wie Blutwerten oder Bildgebung bislang rein prognostisch. Gleichzeitig ist klar, dass bereits jetzt die Mehrzahl der DLBCL-Patient:innen mit verfügbaren systemischen Therapieoptionen geheilt werden kann. Das ist ein großer Unterschied zum Lungenkarzinom.
Über radiologische und nuklearmedizinische Bildgebung kann bestimmt werden, wie weit sich ein DLBCL von einem initialen Lymphknoten zu anderen Lymphknoten oder zu extralymphatischen Organen ausgebreitet hat, z. B. ob das Gehirn betroffen ist, das Knochenmark infiltriert ist, die Milz und so weiter.
Unsere Hoffnung ist, dass man über die Analyse von Schnittbildern zusätzlich Informationen darüber bekommt, wie aggressiv der Tumor ist. Mit H&E gefärbte Schnitte sind Teil der klinischen Routine und für fast alle DLBCL-Patient:innen weltweit verfügbar, egal ob in Afrika, in Südostasien, in Amerika oder in Europa. Sie sind daher unser Ansatzpunkt für Digitale Pathologie.
Wir möchten diese einfach verfügbaren Bilder digitalisieren und dann mit Hilfe von Computern analysieren, um herauszufinden, ob es histomorphologische Muster, also Biomarker, gibt, die mit dem Ansprechen von Patient:innen auf gewisse Therapien korrelieren. Anhand von diesen Markern versuchen wir dann, die Patient:innen weiter in Subgruppen einzuteilen.
Eine der Schwierigkeiten ist, dass die „manuelle“ histopathologische Einschätzung relativ subjektiv ist. Unsere Hoffnung ist, dass wir mit künstlicher Intelligenz oder mit rechengesteuerten Methoden standardisierte Messungen erhalten und daher verbesserte Biomarker entwickeln können.
Mein Eindruck ist, dass diejenigen Biomarker, die wir mit der Methode definieren möchten, wahrscheinlich recht nuanciert sein werden und dass die Digitale Pathologie mit weiteren Befunden, z. B. PET-CT, kombiniert werden muss. In dieser Kombination könnten auch schwächere Signale entdeckt werden, die der herkömmlichen Mikroskopie bisher entgangen sind. Dass plötzlich morgen ein Protein gefunden wird (wie die ABL-Kinase bei der CML oder die EGFR-Kinase im Lungenkarzinom), durch das alles glasklar wird, glaube ich persönlich nicht. Nach meinem Gefühl gibt es solche „low-hanging fruits“ nicht mehr. Dafür wird einfach schon zu lange an dem Thema geforscht.
Unsere Vision ist, dass die Methode relativ breit anwendbar ist. Zur Auswertung braucht man zum Beispiel einen sogenannten Slide Scanner, also ein automatisches Mikroskop, mit dem man Objektträger mit histologischen Schnitten digitalisieren kann. Wenn diese digitale Infrastruktur bereits existiert, dann ist der Schritt zum Algorithmus relativ kurz. Bestenfalls ist es so, dass das, was Patholog:innen in ihrem Labor bereits zur Verfügung haben, so nahtlos wie möglich integriert wird, um so eben möglichst wenig Mehraufwand zu verursachen.
Besonders die Lymphom-Diagnostik wurde über die letzten Jahre immer komplizierter und die Klassifikationssysteme wurden damit immer komplexer. Da ist es für manche Labore schwer auf dem neuesten Stand zu bleiben, was zu Unsicherheiten führen kann. Kann ich das selber machen oder ist das etwas, was ich an die Uniklinik abgeben muss? Da hoffen wir, dass die digitalen Ansätze den Patholog:innen etwas Sicherheit vermitteln können. Das bedeutet nicht zwingend, dass eine neue molekulare Methode etabliert wird oder neue Geräte angeschafft werden müssen. Auch nicht, dass spezialisiertes Personal eingestellt werden muss oder Proben an Spezialzentren geschickt werden müssen.
Falls die digitale Schnittbildgebung jedoch noch etabliert werden muss, ist der Aufwand erstmal natürlich höher. Doch auch wenn die Digitalisierung aktuell vielleicht noch als Hürde angesehen wird, schaut man bald vielleicht zurück und sagt: „Damals haben wir noch die Glas-Objektträger mit dem Taxi rumgefahren“, und erkennt die Vorteile digitaler Verfahren.
Ich denke, dass das Hauptaugenmerk darauf liegen wird, die Patient:innen, die von aktuellen Erstlinientherapien nicht profitieren, besser therapeutisch zu versorgen. Die Hoffnung ist, dass man bestimmte Biomarker oder Biomarker-Muster findet, die ein Ansprechen auf eine oder mehrere gewisse Molekülgruppen von Medikamenten wahrscheinlicher machen.
Außerdem stellt sich die Frage, was im späteren Krankheitsverlauf mit den Patient:innen passiert. Gibt es irgendwelche Muster, die frühzeitig auf ein Ansprechen und Nicht-Ansprechen von Patient:innen hinweisen, sodass Therapiewechsel besser begründet und frühzeitig eingeleitet werden können?
Ein weiteres Problem ergibt sich in der Nachsorge. Macht man einfach nur jedes halbe Jahr eine Untersuchung? Eventuell gibt es zukünftig Methoden, um die Patient:innen engmaschiger zu kontrollieren. Denkbar sind hier Ansätze der klinischen Bildgebung oder Analysen von Blutproben, die kleinste Mengen an Tumor-DNA enthalten können, um invasive Biopsien zu vermeiden. Eventuell können so Rückfälle erkannt werden, bevor Patient:innen diese bemerken und es vielleicht schon zu spät ist.