Operables NSCLC
Personalisierte Medizin beim operablen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom
Früh erkannt, vollständig reseziert – geheilt? Ein Rückfallrisiko von bis zu 55 % zeigt , dass für Patient:innen mit frühen Stadien des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) der Bedarf an Maßnahmen zur langfristigen Absicherung des OP-Erfolgs hoch ist. Seit 2022 ist die Krebsimmuntherapie auch zur Behandlung des frühen NSCLC zugelassen und bietet den Betroffenen neue Perspektiven. Dr. Jan Stratmann, Onkologe am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg, nimmt uns mit in seinen Alltag: Wie häufig begegnen ihm Patient:innen mit operablem NSCLC im Praxisalltag? Was macht die Operabilität aus? Welche Faktoren beeinflussen ob und wann eine Systemtherapie hinzugenommen wird?
In den frühen Stadien des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) ist das Therapieziel ganz klar die Heilung. Leider macht diese Gruppe an Patient:innen in meinem Praxisalltag nur etwa 25-30 % aus. Der größere Teil, etwa 60-70 %, befindet sich bereits im palliativ zu behandelnden metastasierten Stadium. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Situation im Zuge des Screening-Programms zur Früherkennung verbessern wird. Aktuell handelt es sich sehr häufig um Zufallsbefunde auf Röntgenbildern, etwa im Zuge eines Traumas oder bei anhaltenden Beschwerden nach einem respiratorischen Infekt. Allerdings gibt es auch die Patient:innen, die sich etwa wegen einer anderen Tumorerkrankung in der Nachsorge befinden und bei denen dann sehr früh ein neuer Rundherd entdeckt wird.
Wie erreichen wir das Therapieziel Heilung?
In den frühen NSCLC-Stadien haben wir mehrere Instrumente zur Verfügung, um das Therapieziel Heilung zu erreichen. Es gibt die Systemtherapien, namentlich die zielgerichtete Therapie, Chemotherapie und die Checkpoint-Inhibition. Und wir haben die lokal-ablativen Verfahren, die Operation und die Strahlentherapie. In welcher Sequenz und in welcher Form spielen all diese Instrumente für die Patient:innen zusammen? Das wird im interdisziplinären Tumorboard entschieden. Da wird für jede Patientin und jeden Patienten individuell die Therapiestrategie geplant. In operablen Stadien muss die Operation mit dem Ziel der Entfernung aller sichtbaren Tumoranteile, die R0-Resektion, das Hauptanliegen sein. Das ist Standard of Care. Alle weiteren Therapien, etwa Systemtherapien, müssen sich um den Dreh- und Angelpunkt OP herum platzieren.
Deshalb wird im interdisziplinären Tumorboard die Operabilität gemeinsam definiert. Dabei unterschieden wird die funktionelle und die anatomische Resektabilität. Tumorassoziierte Faktoren, Lage und Größe des Tumors spielen eine Rolle und welche zentralen Gefäße oder Bronchien betroffen sind, ebenso die Lungenfunktion oder gegebenenfalls auch eine Spiroergometrie des oder der Patient:in. Aber auch die Gesamtverfassung und Komorbiditäten der Patient:innen werden immer einbezogen. Wir diskutieren, welche chirurgischen Techniken möglich sind. Es ist wichtig, dass jeder Fall von den beteiligten Disziplinen gesehen wurde, sodass man einen Eindruck hat, in welcher Verfassung der oder die Patient:in sich befindet. Nicht zuletzt benötigen wir auch die Molekularpathologie, im Falle der operablen Stadien sind das gemäß den Zulassungen und Leitlinien: ALK, EGFR und PD-L1.
Ist Testen schon überall Standard?
Die molekulare und immunhistochemische Testung ist mittlerweile in allen Tumorstadien für die Therapiewahl relevant. Die Testung auf Treiberalterationen findet in großen Fachzentren bereits standardmäßig statt. Eine Immunhistochemie ist kostengünstig und schnell. Meist erhalten wir die Ergebnisse zu den wichtigsten Markern innerhalb von 72 Stunden. In den meisten niedergelassenen Praxen wird auf PD-L1 getestet, doch es kommt auch noch vor, dass wir den PD-L1-Status in der Pathologie nachfordern müssen.
Die individuell beste Therapiestrategie für die einzelnen Patient:innen wird erst bestimmt, wenn alle Variablen in der Tumorkonferenz vorliegen. Dann kann die Diskussion schnell abgehandelt sein. Über andere Fälle sprechen wir auch mal 15 Minuten.
R0-Resektionserfolg sichern!
Das primäre Ziel der Systemtherapie um die Operation herum ist die Eradikation von Mikrometastasen, also von Tumorzellen, die sich bereits außerhalb der Primärtumorregion befinden. Trotz guter Bildgebung, zum Beispiel mittels PET-CT, sind wir nicht in der Lage, diese zu identifizieren. Mikrometastasen sind jedoch ursächlich für spätere Rezidive, insbesondere für Fernrezidive in anderen Organen. Wie die Systemtherapien eingesetzt werden, damit sie größtmöglichen Nutzen für die Patient:innen bringen, das wiederum ist Entscheidung des interdisziplinären Tumorboards, und da sind viele Faktoren beteiligt, die diese Entscheidung letztendlich mitbegründen.
Vorher oder nachher? Wie wir die Immuntherapie einsetzen
Mittlerweile stehen uns adjuvante und neoadjuvante Immuntherapie-Regime in den operablen Stadien zur Verfügung. Wie entscheiden wir also? Die wichtigste Prämisse in den frühen Stadien ist, den Standard, nämlich den Tumor und all seine Anteile chirurgisch zu entfernen, nicht zu gefährden. Das ist die Bedingung, unter der alle Entscheidungen getroffen werden müssen. Das heißt, wenn ich Sorge laufe, dass Patient:innen unter der Neoadjuvanz verloren gehen – etwa , weil sie sich schwere Komplikationen einhandeln oder der Tumor primär resistent ist und dann selbst durch geringes Wachstum nicht mehr resektabel ist – dann sind das Kanditat:innen für eine adjuvante Therapie. Sofern die R0-Resektion erreicht wird.
Es ist zudem nicht selten – in etwa 10-15 % der Fälle – dass mit der Histopathologie des Resektats ein Upstaging im Vergleich zum sehr guten präoperativen Staging stattfindet und diese Patient:innen sich dann noch für eine adjuvante Therapie qualifizieren. Auch grenzwertig resektable Patient:innen, bei denen der Tumor möglichst schnell entfernt werden muss, um die R0-Resektion zu sichern, sind für das adjuvante Setting prädestiniert. Die Gefahr eines Primärprogresses unter Neoadjuvanz sollte vermieden werden. Aus Sicht der Patient:innen könnte diese allerdings durch kürzere Therapieschemata vorteilhaft sein. Auch der Umstand, dass wir Patient:innen nicht aufgrund von Therapiemüdigkeit verlieren wollen, obwohl sie sich für eine Systemtherapie qualifizieren, ist nicht zu vernachlässigen.
Bei der Wahl einer adjuvanten Immuntherapie spielt für mich der PD-L1-Status eine entscheidende Rolle – nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Zulassungen, sondern weil die Datenlage dafürspricht. Liegt die PD-L1-Expression über 50 %, ist die Wahl für mich eindeutig. Warum sich die Ergebnisse der Checkpoint-Inhibitoren so deutlich unterscheiden, verstehen wir nicht genau. Aber ich fühle mich wohler, wenn ich ein Medikament einsetze, bei dem die Datenlage doch einen deutlichen Benefit für die Patient:innen anzeigt.
Compliance: Warum ich die Patient:innen von Anfang an mitnehme
Ich glaube, es ist wichtig, dass man sehr deutlich das Therapieziel mit den Patient:innen bespricht – auch in der Gesamtheit der erwarteten Prognose. Mein Gefühl ist – und das weiß ich auch aus Erfahrungen im persönlichen Umfeld – dass, wenn das Therapieziel der Heilung noch im Raum steht, die Patient:innen im Allgemeinen auch gewillt sind, mehr Anstrengungen in die Waagschale zu legen und zu ertragen, dass die Lebensqualität möglicherweise unter den aggressiveren Therapien, zumindest temporär, eher schlechter ist.
Verständlicherweise entwickeln Patient:innen, die mit dieser Erkrankung konfrontiert werden, gravierende existenzielle Ängste. Ich bemerke, dass sie froh sind, wenn man ihnen eine Handlungsanweisung an die Hand gibt. So ist mein Eindruck, dass die meisten Therapien, die vorgeschlagen werden – über die man sich ja auch im Tumorboard viele Gedanken gemacht hat – von den Patient:innen angenommen werden und andere Dinge wie berufliche Verpflichtungen für das Therapieziel der Heilung eher in den Hintergrund rücken. Familiäre Aspekte und natürlich persönliche Überzeugungen spielen manchmal schon eine Rolle. Das kann dazu führen, dass von empfohlenen Therapieschemata abgewichen wird. Das betrifft jedoch schätzungsweise nicht mehr als 10 % der Patient:innen. In diesen Fällen versuchen wir eben, eine zweitbeste Lösung zu stricken.
Was mich beschäftigt – wie werden Patient:innen überall bestmöglich versorgt?
Mir als Onkologe ist der medizinische Fortschritt extrem wichtig und ich habe den – aus meiner Sicht unbedingt notwendigen – Anspruch aktuell informiert zu sein. Im klinischen Alltag, der von zunehmenden Arbeitsbelastungen geprägt ist, ist das eine große Herausforderung. Meiner Einschätzung nach funktioniert es auf Dauer nur so, dass die Ärztinnen und Ärzte in den großen, spezialisierten Lungenfachzentren für ihre Erkrankung am Ball bleiben und hier genau Bescheid wissen. Es ist dann eigentlich die Verpflichtung und Aufgabe dieser Zentren, Wissen in die Breite zu tragen. Denn es hilft nicht, wenn wir an großen Spitzenzentren sehr gute Medizin machen, aber 20 Kilometer weiter im Stadtkrankenhaus dieses Wissen nicht umgesetzt wird. Teilweise führt das zu erheblichen Behandlungsunterschieden – zum Nachteil der Patient:innen. Daher begrüße ich immer – und so leben wir es auch in unserem Klinikum – wenn eine enge regionale und überregionale Zusammenarbeit praktiziert wird. Unsere Patient:innen können dann nur gewinnen.
Wir danken Dr. Jan Stratmann für seinen Input zum Praxisalltag der Behandlung des operablen NSCLC.
Dr. Jan Stratmann im Interview
Hören Sie Dr. Stratmann zum Thema “Status quo beim operablen NSCLC – Worauf müssen wir achten?”
Videolänge: 03:14 min
Dr. Jan Stratmann
Onkologe, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg