Zukunft der Onkologie

Nutzung von Versorgungsdaten
in der Medizin: Nur wie?

Die Nutzung von Gesundheitsdaten aus dem Versorgungsgeschehen ist in aller Munde: Qualitätsgesicherte Datenanalysen aus der „Real World“ (RWD) haben ein großes Potenzial, die moderne Medizin auf ein nächstes Level zu heben. RWD-Analyse gilt als ein vielversprechendes Instrument, weil die Erkenntnisse aus dem Hier und Jetzt des Versorgungsalltags klinische Prüfungen ergänzen können. Doch um die Potenziale der digitalisierten Medizin zu heben und in der Fläche für Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen, sind noch viele Hürden zu nehmen. Darunter sind Fragen zum Datenschutz, zur Infrastruktur und zum allgemeinen Zugang zu Daten.

 

An einem Mangel an Daten liegt es nicht. Die Welt der Medizin liefert sie täglich massenhaft: u.a. in Form von Patientenakten in Arztpraxis oder Klinik oder bei der Abrechnung durch gesetzliche oder private Kassen. Nimmt man noch Informationen aus Gesundheitsanwendungen hinzu, wie man sie heute auf jeder Smartwatch findet, wird klar: Die Daten sind da. Man könnte auch sagen: Deutschland ist ein Gesundheitsdaten-Eldorado – theoretisch zumindest. Denn es hapert an der Nutzbarmachung. Ungenutzt, nicht analysiert und nicht verknüpft sind es einfach Daten – ohne jeglichen Mehrwert für die Gesundheitsversorgung.

 

Es ist international Konsens, dass sich eine datengetriebene Forschung, die sich am Wohle der Gemeinschaft orientiert, an den so genannten „FAIR-Prinzipien“ orientieren sollte. Demnach müssen die Daten für Dritte jederzeit auffindbar („Findable“), zugänglich („Accessible“), interoperabel („Interoperable“) und wiederverwendbar („Reusable“) sein. Die COVID-19-Pandemie hat deutlich gezeigt, wie schwierig die Umsetzung der FAIR-Prinzipien in Deutschland ist: Es wurden zwar faktisch Daten für die systematische Beurteilung von Verläufen und Risiken dieser Erkrankung erhoben und elektronisch gespeichert. Anders als in anderen europäischen Ländern konnten sie nicht genutzt werden. Eine (zu?) strikte Auslegung der Rechtsverordnungen bzw. Datenschutzbestimmungen, ein Denken in Datensilos, eine nur punktuell vorhandene Infrastruktur: In Deutschland ist der Nachholdbedarf größer als in den meisten vergleichbaren Ländern.

Herausragendes Potenzial: Die Verknüpfung von personenbezogenen Daten

Die Verknüpfung von personenbezogenen Gesundheitsdaten ausverschiedenen Datenquellen ist hierzulande mit sehr hohen datenschutzrechtlichen Hürden und entsprechendem bürokratischem Aufwand verbunden. Dieses Record-Linkage-Verfahren ist aber Voraussetzung für einen Erkenntnisgewinn, der sich zum Beispiel aus der Verknüpfung und Zusammenführung von Daten aus Krebsregistern mit Daten der gesetzlichen Krankenkassen ergeben kann. Voraussetzung ist, dass sich die Daten aus den unterschiedlichen Quellen pseudoanonymisiert auf denselben Patienten, dieselbe Patientin zurückführen lassen. Beispiele aus anderen Ländern Europas belegen ein herausragendes Potenzial für die Gesundheitsforschung. Länder wie Finnland oder Dänemark nutzen diese Möglichkeiten – trotz einer einheitlichen EU-Datenschutzgrundverordnung – viel offensiver. 

 

In der Regel erfüllen die Gesundheitsdaten in Deutschland nicht die Anforderungen der FAIR-Prinzipien. „In Deutschland sind die Auffindbarkeit und die Nachnutzung von Daten noch sehr eingeschränkt, was die Forschung nicht nur im Gesundheitsbereich stark beeinträchtigt und den Wissenschaftsstandort Deutschland nachhaltig schwächt,“ schreibt ein Team um Prof. Dr. Iris Pigeot vom Leipniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie.

 

Doch es gibt verschiedene Initiativen und Projekte, die die Voraussetzung für eine bessere und sichere Datennutzung hierzulande verbessern wollen. Dazu gehört etwa das NFDI4Health (Nationale Forschungsdateninfrastruktur für personenbezogene Gesundheitsdaten). Die Idee dahinter ist die Verschmelzung von epidemiologischer, Public Health- und klinischer Forschung. Dafür baut das Institut eine Forschungsdateninfrastruktur für personenbezogene Gesundheitsdaten auf.

Sekundärdaten für wissenschaftliche Forschung

Wie sich das Potenzial der Auswertung und Verknüpfung von GKV-Routinedaten für die Wissenschaft und Forschung optimieren lässt – damit beschäftigt sich bereits seit mehr als zwei Dekaden die AGENS (Arbeitsgruppe Erhebung und Nutzung von Sekundärdaten). Sie will den Zugang zu Sekundärdaten erleichtern und damit deren Nutzung für wissenschaftliche Forschung verbessern. Sie sieht den Datenzugang und die Datenaufbereitung als essentielle Voraussetzungen jeder nachfolgenden Datenanalyse Die AGENS setzt auf Netzwerkbildung zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Forschung und Entwicklung sowie den Vertretern derer, die Eigentümer der Daten sind (z. B. Krankenkassen). Dabei soll es vor allem um die Entwicklung spezifischer wissenschaftlicher Standards gehen.

 

Bei allen berechtigten Klagen über den „Gesundheitsdaten-Tanker Deutschland“: Gesundheitsdaten sind hochsensible Daten; sie müssen vor Missbrauch maximal geschützt sein. Die Suche nach der Balance zwischen dem Schutz vor Datenmissbrauch und dem, was eine digitalisierte Medizin an Chancen bietet, kranken Menschen eine bessere Behandlung zu ermöglichen, ist in vollem Gange.

Weiterführende Artikel:

Pigeot, I., Intemann, T., Kollhorst, B. et al. FAIRifizierung von Real World Data für die Gesundheitsforschung. Präv Gesundheitsf (2022). https://doi.org/10.1007/s11553-022-00973-x

 

Swart, E., Gothe, H. & Ihle, P. Bausteine und Strukturen für eine leistungsfähige Real-World-Data-Analyse. Präv Gesundheitsf (2022). https://doi.org/10.1007/s11553-022-01005-4

 

Drepper, J. Datenschutzgerechte Wege zur Nutzung von Real World Data. Präv Gesundheitsf (2022). https://doi.org/10.1007/s11553-022-00991-9

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