Zukunft der Onkologie
Gesundheitsdaten aus der Routineversorgung: Der Evidenz-Turbo für eine bessere Medizin
Wo Menschen medizinisch versorgt werden, entstehen Gesundheitsdaten – in der Praxis von Ärzt:innen, in Versorgungszentren oder Kliniken, bei den Krankenkassen. Mit Hilfe digitaler Technologien sind wir heute in der Lage, solche Real World-Daten gezielt zu nutzen, um schneller zu lernen, wie wirksam und sicher Therapien im Alltag sind, wo Versorgungslücken bestehen und wo Therapiepfade optimiert werden können. Richtig erhoben und ausgewertet, stellen diese Versorgungsdaten eine wichtige Ergänzung zu klinischen Studien dar.
Real Word Data (RWD), also Daten aus der Versorgungsrealität, sind schon heute ein wichtiges Instrument, um Therapien zu bewerten. Gerade in der Pharmakovigilanz spielen sie eine große Rolle, um Aussagen über die Sicherheit von Arzneimitteln im medizinischen Alltag zu treffen.
Aber mit Daten aus der Routineversorgung geht noch viel mehr. Denn mit Hilfe digitaler Technologie sind wir in der Lage, riesige Datenmengen zu verarbeiten und Muster zu erkennen, mit denen wir die Behandlung kranker Menschen fundamental verbessern können. So lernen wir von jeder einzelnen Patientengeschichte mit ihrem individuellen Krankheitsverlauf. Aus Big Data wird Smart Data; aus einer guten eine bessere Medizin. Das ist das Versprechen der digitalisierten Versorgung. Die digitale Revolution eröffnet der Medizin neue Horizonte.
Warum das so ist? Schauen wir auf die Arzneimittelforschung. Dort sind randomisierte kontrollierte, Therapien vergleichende klinische Studien (randomized controlled trial, RCT) der „Goldstandard“; sprich: das verlässlichste Forschungsinstrument, um die Wirksamkeit und Sicherheit eines neuen Wirkstoffes im Vergleich zu einer Standardtherapie zu ermitteln. Doch RCTs haben ihre Grenzen – und das nicht nur bei seltenen Erkrankungen, wo kleine Patient:innen-Gruppen die statistische Aussagekraft einschränken können. Wegen ihrer streng selektierten Studienpopulationen und der hochgradig kontrollierten Studienbedingungen können viele Fragen rund um die optimale Versorgung von Patient:innen aus den Erkenntnissen einer RCT allein oft nicht gewonnen werden. Fakt ist: Viele Fragen rund um die Versorgung von Patient:innen können mit diesem klassischen Studiendesign oft nur sehr schwer beantwortet werden. Die „Real World“ ist heterogener als es RCTs darzustellen vermögen. Dies bedingt allerdings auch diverse methodische Herausforderungen, an denen die Scientific Community derzeit weltweit arbeitet. Eine aktuelle Publikationsreihe gibt einen Überblick über die aktuellen Ansätze.
Die Verknüpfung von klinischen Studiendaten und den Informationen aus der Versorgungsrealität birgt eine enorme Chance. Hier spielen Register, definiert als strukturierte Datensammlungen von Patient:innen, die zum Beispiel eine Diagnose gemeinsam haben, eine wichtige Rolle. Qualitativ hochwertige Register sind wahre Schatztruhen, denn ihre Daten
- machen Versorgungslücken sichtbar und unterstützen bei der Therapieoptimierung und der Nachsorge von Patient:innen,
- können in der Versorgungsforschung zur Hypothesengenerierung genutzt werden und konkret Fragen zum Versorgungsgeschehen beantworten.
Die Erkenntnis, dass RWE bei der Entwicklung von Arzneimitteln immer wichtiger wird, verändert Forschung und Entwicklung. Gerade weil die klassische RCT hinsichtlich der Generalisierbarkeit auf die Versorgungsrealität an Grenzen stößt, ergeben sich neue Forschungswege. Hier könnten die so genannten registerbasierten RCTs (RRCTs) in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Sie nutzen Registerdaten, verfolgen einen pragmatischeren Ansatz als RCTs und befreien sie aus ihrem engen Korsett strenger Ein- und Ausschlusskriterien. RRCTs nehmen deshalb für sich in Anspruch, näher am klinischen Alltag zu sein. Sie haben das Potenzial, mit ihren Ergebnissen wichtige Entscheidungsvorlagen nicht nur für die klinische Praxis, sondern auch für Fragen von Public-Health-Relevanz liefern zu können. Auch bei RRCTs gelten höchste Ansprüche auf methodische Qualität; ihre Umsetzung folgt keineswegs einem methodischen „Laissez-faire“-Ansatz. Es geht vielmehr darum, Erkenntnisräume zu erschließen, die durch das strikte Studiendesign einer RCT verschlossen bleiben würden. Dabei kommen Instrumente wie die sogenannte Target-trial-Emulierung (TTE) zum Einsatz. Sie ist für Wissenschaftler:innen quasi die Anleitung, mit der sie ein geeignetes Studiendesign und Auswertungskonzept erstellen können, das den Prinzipien und dem Vorgehen einer RCT so ähnlich wie möglich ist und unnötige Verzerrungen bei der Datenanalyse vermeidet.
Daten aus der Routineversorgung sind eine reichhaltige Grundlage für die Beantwortung medizinischer Fragestellungen, die aber aus verschiedenen Gründen noch zu wenig genutzt werden. Richtig erhoben und ausgewertet haben sie das Potenzial, die moderne Medizin auf das nächste Level zu heben. Nicht umsonst heißt es: „Daten heilen.“
Griesinger, F., Jänicke, M. Was können Register leisten? Präv Gesundheitsf (2022). https://doi.org/10.1007/s11553-022-00969-7
Lange, S., Lauterberg, J. Pragmatischere randomisierte Studien mit Fokus auf Registerbasierung. Präv Gesundheitsf (2022). https://doi.org/10.1007/s11553-022-00974-w
Braitmaier, M., Didelez, V. Emulierung von „target trials“ mit Real-world-Daten. Präv Gesundheitsf (2022). https://doi.org/10.1007/s11553-022-00967-9