Was können wir von Nonnen über Alzheimer lernen?

In einer Langzeitstudie wurden 678 Nonnen untersucht. Dabei konnten unter geringen Umwelteinflüssen Rückschlüsse auf die Entstehung der Alzheimer-Demenz und Langlebigkeit beobachtet werden. Hier die spannenden Resultate dieser einzigartigen Studie.

An dieser Langzeitstudie nahmen 678 Ordensschwestern von Notre Dame in den USA teil. Alle Teilnehmerinnen waren zwischen 75 und 102 Jahre alt (Ø = 83 Jahre).1 Der Bildungsgrad war variabel, allerdings hatten 85 % aller Teilnehmerinnen mindestens einen Bachelor-Abschluss und 89 % waren als Lehrerinnen tätig.1 Zwischen 1991 und 1998 verstarben 274 Teilnehmerinnen.1 Im Jahr 2017 waren noch 3 Teilnehmerinnen am Leben.

Folgende Untersuchungen wurden durchgeführt:

  • neuropathologische post-mortem Untersuchung, bei der Anzeichen für Alzheimer Demenz (AD) und Schlaganfälle untersucht wurden.1
  • jährlich physische und kognitive Tests, u.a. die CERAD-Testbatterie (Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease), darunter auch der MMST (Mini-Mental-Status-Test) und der „Delayed Word Recall Test“, um das Kurzzeitgedächtnis zu testen.1
  • Auswertung persönlicher Unterlagen (z. B. Autobiographien) und medizinischer Aufzeichnungen.1,2 Die Autobiographien wurden im Durchschnitt im Alter von 22 Jahren geschrieben und gaben Aufschluss über linguistische Fähigkeiten in frühen Lebensabschnitten.1,2

Der einzigartige Lebensstil und die Lebensumstände der Nonnen machen eine Generalisierung der Studienergebnisse schwierig. Allerdings ist eine der Stärken dieser Studie die hohe Vergleichbarkeit der Lebensstile untereinander und die gleiche Umwelt, welche Störvariablen gering hielt.1 Seit den 1990er Jahren wurden zahlreiche Publikationen über diese Studie veröffentlicht und viele verschiedene Teilbereiche der Demenz und Langlebigkeit beleuchtet.1-24  

Fällt die Entscheidung, an Alzheimer zu erkranken, schon in den frühen 20ern?

Es ist bekannt, dass sich die pathologischen Veränderungen einer Alzheimer-Erkrankung schon Jahrzehnte vor einer klinischen Auffälligkeit manifestieren können und medizinische Tests oder fachgerechte Überweisungen unmittelbar nach dem ersten Auftreten von Gedächtnisproblemen durchgeführt werden sollten. Wäre es deshalb nicht wunderbar, durch einfache Tests eine mögliche Alzheimer-Erkrankung schon Jahrzehnte vorher nachweisen zu können?

Ein Teilbereich der Nonnen-Studie fokussierte sich auf die linguistischen Fähigkeiten in frühen Lebensabschnitten (Ø = 22 Jahre) und deren mögliche Korrelation mit einer Alzheimer-Erkrankung.2 In dieser Studie konnte durch die Analyse der vorhandenen Autobiographien zum ersten Mal gezeigt werden, dass geringe linguistische Fähigkeiten im jungen Erwachsenenalter mit dem Auftauchen von MCI (Mild Cognitive Impairment in Verbindung mit Alzheimer, die Vorstufe der Alzheimer-Demenz) 60 Jahre später in Verbindung stehen.2  Darüber hinaus korrelierten die geringen frühen linguistischen Fähigkeiten auch mit pathologischen Kennzeichen der Alzheimer-Erkrankung, wie z. B.:

  • Neurofibrillen
  • Geringes Gehirngewicht
  • Zerebrale Atrophie2

Diese Ergebnisse unterstützen die Theorie, dass die Alzheimer-Erkrankung durch Faktoren in frühen Lebensabschnitten determiniert sein könnte.2 Allerdings sollte an dieser Stelle folgendes wichtiges Zitat nicht vergessen werden:

„Post hoc ergo propter hoc“ (lat. „Danach also deswegen“) ist ein Trugschluss, bei dem das korrelierte Auftreten zweier Ereignisse ohne genaue Prüfung als Begründung aufgefasst wird. Korrelation bedeutet aber nicht gleich Kausalität.

Riley et al. schlussfolgerten auch, dass die Daten keine genaue Auskunft darüber geben, ob neuropathologische Ursachen schon früh im Leben die geringen linguistischen Fähigkeiten verursachten oder die geringen linguistischen Fähigkeiten in den 20ern zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Alzheimer-Erkrankung führten.2

Ein langes Leben durch positive Emotionen

Die Autobiographien der Nonnen wurden noch für weitere Analysen herangezogen: Auslöser von Emotionen (z. B. Tod eines Familienmitglieds), die Emotionen selbst (z.  B. Trauer), die nachfolgenden Verhaltensäußerungen (z. B. Weinen) und die Versuche, die Expression der Emotionen zu kontrollieren, wurden als positiv, negativ oder neutral kodiert, analysiert und auf Korrelationen mit Langlebigkeit untersucht.24 Tatsächlich wurde eine sehr starke Verbindung von positiven emotionalen Inhalten in den Autobiographien des frühen Erwachsenenalters und Langlebigkeit (6 Jahrzehnte später) festgestellt.24 Es bestand ein 2,5-faches Mortalitätsrisiko zwischen dem untersten (negativen) und dem obersten (positiven) Quartil der Teilnehmerinnen.

Die emotionale Antwort auf verschiedenste externe Auslöser ist verbunden mit unterschiedlichen Aktivierungen des autonomen Nervensystems (ANS).24 Eine Suppression von Emotionen kann sogar zur Verstärkung der ANS-Reaktion führen.24 Häufige und anhaltende negative Erregungen des ANS sind mit beschleunigten kardiovaskulären Krankheitsmechanismen verbunden.24 Positive Emotionen können hingegen den Stress auf das kardiovaskuläre System verringern, welcher durch unvermeidbare negative Lebensereignisse hervorgerufen wurde.24 Danner et al. implizieren, dass die emotionale Reaktion, Expression und Resolution auf die Persönlichkeitsentwicklung im frühen Erwachsenenalter zurückzuführen ist und entscheidende Auswirkungen auf die Lebenslänge und die generelle Gesundheit hat.24 Auch viele andere Studien zwischen den 1970er und 1990er Jahren fanden heraus, dass Optimismus mit einem längeren Leben assoziiert ist.24

Serum-Zink und Serum-Folat: Weitere Alzheimer-Risikofaktoren?

Weitere Subgruppenanalysen der Nonnen-Studie zeigten einen Zusammenhang zwischen geringen Serum-Folat-Konzentrationen und kortikaler Atrophie bei Teilnehmerinnen mit Alzheimer Läsionen im Neokortex.14 Es besteht keine konkrete kausale Verbindung von Folat und kortikaler Atrophie, aber diese Ergebnisse sind dennoch wertvoll, da die Lebensstile und die Nahrungsversorgung aller Teilnehmerinnen in hohem Maße vergleichbar waren.14 Folat kann die Homocystein-Konzentration, die mit vaskulären Erkrankungen assoziiert ist, im Blut verringern.14 Zudem korrelieren geringe Homocystein-Konzentrationen mit progressiver Atrophie des Temporallappens bei AD-Patient:innen.25 

Im Rahmen der Serumanalysen wurde ebenfalls festgestellt, dass Serum-Zink-Konzentrationen negativ mit geringer Anzahl an Amyloid-beta (Aβ) Plaques korreliert waren, nicht aber mit pathologischen Neurofribrillen.23 Zink hat viele Funktionen im zentralen Nervensystem. Es wird zusammen mit Glutamat in den synaptischen Spalt freigesetzt, wo es NMDA*- und AMPA**-Rezeptoren moduliert und damit an der synaptischen Übertragung beteiligt ist.26  Darüber hinaus spielt Zink eine Rolle beim enzymatischen Abbau von Aβ und bei der Prozessierung des Amyloid Vorläuferproteins (APP).26 Dies könnte erklären, warum eine Zink-Defizienz zu verschlechterten Gedächtnisleistungen in AD-Mausmodellen führte.27


 

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